Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
den Raum. Unter Umständen brauchte sie nur ein bisschen Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, die Azienda aufzugeben. Ihm blieb nur, zu hoffen.
Sein Blick war weiterhin auf sie geheftet, er betrachtete sie eingehend, stellte sich vor, was in ihr vorging. Er war froh, dass er sie hergebracht hatte, denn sie sollte außer dem heruntergekommenen Gut noch etwas von Sizilien sehen. Auf diese Weise könnte sie die Insel mit schönen Erinnerungen verlassen und hätte nicht das Gefühl des Scheiterns. Da er wusste, wie es sich anfühlte, wünschte er es niemandem. Sie würde mit einer Tasche voller Geld nach Hause fahren und tun können, was immer sie wollte. Oder auch hierbleiben und ein Häuschen kaufen, das keine Grundsanierung nötig hatte.
Es gab ihm Mut, dass sie nicht mehr krampfhaft auf der Hut zu sein schien. Nicht nur, weil es sein Vorhaben einfacher machte. Sie erweckte die ganze Zeit den Eindruck, als sei sie auf das Schlimmste gefasst. Was war in ihrem Leben passiert, das sie gelehrt hatte, immer wachsam zu sein?
„Was haben Sie gemacht, bevor Sie Kalifornien verlassen haben?“, fragte er. Eigentlich hatte er vorgehabt, nur höfliche Konversation zu betreiben, doch nun ertappte er sich dabei, dass er Neugierde verspürte.
Sie setzte ihr Glas ab. „Ich war Grafikerin.“
Er blickte auf ihre Hand, die auf dem Tisch lag, und bemerkte die anmutige Form ihrer Finger. Mit diesen zarten Händen konnte er sie sich gut vor einer Staffelei vorstellen. „Sind Sie Künstlerin?“
„In gewisser Hinsicht. Ich bin keine Malerin oder Bildhauerin. Ich gestalte Bilder für Kunden, die ihre Produkte besser verkaufen wollen.“
„Spüren Sie nicht den Wunsch, zu malen oder für sich selbst zu zeichnen?“
„Dafür bin ich nicht gut genug.“
„Warum zeichnen Sie nicht Weintrauben statt sie anzubauen? Ich garantiere Ihnen, es wäre einfacher.“
„Ich habe darüber nachgedacht, beides zu tun. Ich will meine eigenen Weinetiketten entwerfen.“ Sie nahm die Flasche aus dem Kühler, der am Tischrand stand, und betrachtete das Etikett. „Schauen Sie sich das an. Dies hier sagt nichts über Ihren Wein aus. Und obendrein ist es altmodisch. Sie brauchen etwas, das Ihrem Kunden eine Botschaft vermittelt. Etwas Frisches, Neues. Das hier ist alt.“
„So wie der Wein.“
„Es würde einen Riesenunterschied für die Wahrnehmung der Kunden machen. Ich könnte etwas Neues für Sie entwerfen, wenn Sie möchten.“
„Danke, nein. Das ist das Montessori-Etikett. Das kennen die Leute. Daran sind sie gewöhnt. Und danach suchen sie, wenn sie einen guten Wein wollen. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie nichts über unseren Wein und unsere Tradition wissen?“
„Das vielleicht nicht, aber ich weiß, welche Etiketten und Labels laufen und was sich verkauft. Sie beugte sich über den Tisch, und ihre Augen strahlten in einer Intensität, die er vorher nicht an ihr wahrgenommen hatte. Sie war jetzt ganz ernsthaft darum bemüht, ihre Kenntnisse mit ihm zu teilen. Er musste zugeben, dass sie Selbstvertrauen besaß.
„Wie sind Ihre Verkäufe?“
„Gut“, lautete seine brüske Antwort. Niemals würde er ihr gegenüber einräumen, dass die Zahlen besser sein könnten. Warum das Risiko eingehen, das Label verändern und die Tradition unterbrechen – alles nur aus der schwachen Hoffnung heraus, Steigerungen zu erzielen. Eine Goldmedaille würde ihren Umsatz erhöhen, nichts anderes.
„Dann behalten Sie eben Ihr Etikett“, sagte sie, „aber wenn ich meinen Wein in Flaschen abfülle …“
Er spürte einen kalten Luftzug, so als ob ein eisiger Hauch über ihren Tisch gefegt wäre. Sie hatte gesagt „wenn“, nicht „falls“. Sie war eine Träumerin, und Träumer, das wusste er, waren nicht leicht davon zu überzeugen, von ihrem einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen. Also zurück zu den praktischen Fragen. Wenn er heute kein Haus fand, das ihr gefiel, musste er ihr bei der Traubenernte helfen. Das hatte er versprochen. Besser also, er tat schnell ein unwiderstehliches Objekt auf.
Sie war mitten im Satz unterbrochen worden, als der Kellner die Vorspeisen brachte, die Dario bestellt hatte: Gnocchi in Gorgonzola- und Pistaziensauce. Tief atmete sie das Aroma der reichhaltigen Sauce ein. Sie nahm einen Bissen und nickte langsam. Zumindest wusste sie also gutes Essen zu schätzen. Vielleicht sogar guten Wein, wenngleich er das bezweifelte.
Nachdem der Kellner ihnen einen Salat aus sonnengereiften Tomaten mit
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