Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
fruchtigem Olivenöl und frischem Basilikum serviert hatte, trat Angelo, der Besitzer des Restaurants, an ihren Tisch, um Dario Guten Tag zu sagen, den er lange nicht mehr als Gast hatte begrüßen dürfen.
Dario stellte die beiden einander vor. Was hätte er auch sonst tun sollen? Nach der Art und Weise, in der Angelo sie anblickte, war zu schließen, dass er sie auf seiner Skala weit oben einstufte, vor allem, wenn er sie mit den Schönheitsköniginnen verglich, in deren Begleitung er sonst hierher kam.
Der Gastwirt fragte Isabel charmant, wie ihr Sizilien gefalle.
„Es ist wunderschön. Gerade lerne ich etwas von der faszinierenden Geschichte der Insel.“
„Dario kann Ihnen mehr erzählen als jeder Reiseführer“, antwortet Angelo mit einem anerkennenden Lächeln. „Er kennt sich überall aus. Mit Wein und Essen ebenso wie mit Geschichte. Ja, ich glaube, Sie sind in guten Händen. Vielleicht halten Sie ihn ja ein wenig von der Arbeit ab. Gebrauchen könnte er es.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und wandte sich anderen Gästen zu.
„Er ist sehr freundlich“, bemerkte Isabel. „Stimmt es, dass Sie zu hart arbeiten?“
„In unserem Geschäft kann man gar nicht hart genug arbeiten. Wir haben durch die Dürre einige Verluste erlitten, und anschließend erlitten die Pflanzen einen Pilzbefall. Dann erkrankte auch noch mein Großvater. Offen gesprochen, ich habe keine andere Wahl als hart zu arbeiten. Ich trage die Verantwortung, und wir sind mitten in der Ernte. Jeder im Weinbau arbeitet viel.“ Niemand hat allerdings einen so guten Grund für harte Arbeit wie ich, dachte Dario. Keiner außer ihm musste seine Tage mit schwerer körperlicher Arbeit und die Nächte vor dem Computerbildschirm mit Zahlenkolonnen und Verkaufsstatistiken füllen. Und das alles, um Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und um zu vergessen. Hauptsächlich, um zu vergessen.
„Haben Sie nicht gesagt, echte Sizilianer seien unbeschwert?“
„Ja, meistens jedenfalls. Ich bin anders.“
Auf eine seltsame Art empfand Dario es als Erleichterung, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht sein ganzes Leben hier verbracht hatte, der nicht jedes Geheimnis kannte und nicht die Vergangenheit aller Nachbarn. Es vermittelte ihm – wenn auch nur kurz – ein Gefühl des Abstands von seiner Arbeit, seiner Familie, der Vergangenheit und dem Druck, den er sich selbst auferlegt hatte.
Diese Frau ihm gegenüber mit ihrem rotgoldenen Haar und ihrer lässigen amerikanischen Kleidung war eine Fremde. Ein unbeschriebenes Blatt. Sie hatte noch nie in ihrem Leben römische Ruinen gesehen, niemals Capellini Timballo gegessen oder Nero d’avola probiert. Er wollte sie nicht mögen, aber wider Willen bewunderte er sie dafür, dass sie all das zum ersten Mal erlebte. Sie hatte bemerkenswerte Augen, die aufleuchteten, wenn sie antike Gemäuer sah oder einen herausragenden Wein kostete.
„Sie stellen eine Menge Fragen, erzählen aber wenig von sich“, sagte er.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wie Sie ja schon wissen, habe ich keine Familie, außer meinem Onkel, der verstorben ist. Ich habe meinen Job aufgegeben, um hierherzukommen. Ich fühle mich schuldig, wenn im Augenblick alle Leute im Weingeschäft hart arbeiten müssen und ich Sie von Ihren Weinbergen abhalte. Sie müssen sicherlich auch dort sein. Vielleicht sollten wir aufbrechen.“
Er schüttelte seinen Kopf. „Ich arbeitete hart, damit meine Familie gut leben kann, aber selbst ich lebe nicht, um zu arbeiten. Aber lassen sie uns über Sie sprechen. Sie haben Ihren Job hinter sich gelassen, sonst noch etwas?“
„Eine Mietwohnung. Einige Freunde.“
„Keinen festen Freund?“ Ein Freund würde die Chance, dass sie zurückginge, deutlich erhöhen.
„Nein, keiner“, antwortete sie schroff, aber eine vielsagende Röte überzog ihre Wangen. Da gab es etwas, das sie nicht erzählen wollte. Damit kannte er sich aus. Obgleich er ihre Privatsphäre respektierte, trieb ihn die Neugierde zu seiner nächsten Bemerkung.
„Ich bin überrascht.“
„Dass ich unabhängig bin?“
„Darüber, dass jemand in ihrem Alter allein lebt. Was ist los mit den amerikanischen Männern?“
„Die meisten sind verheiratet. Was für mich völlig okay ist, da ich ohnehin lieber allein lebe.“ Sie blickte nach unten auf den Tisch, anscheinend in die Betrachtung des Silberbestecks vertieft. Warum wurde er trotz ihrer glatten Erklärungen das Gefühl nicht los, dass dieses Thema
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