Küsse im Mondschein
stellen. Allein die Vorstellung, wie sie mitten in einem Ballsaal ihrem Verlangen erliegen könnten … mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ein solches Verhalten ganz sicher für einen gehörigen Skandal sorgte, würde ein derartiger Zwischenfall Martins Plänen ja auch noch geradezu in die Hände spielen.
Amandas Erleichterung, als die Musik endlich endete, war also beträchtlich. Und ihr war ganz schwindelig von dem Gedanken, dass auch er dies aller Wahrscheinlichkeit nach wusste; dass er, sofern er sich nur ausreichend dazu angestachelt fühlte, offenbar bereit war, sogar vor einem Skandal nicht zurückzuschrecken, um zu bekommen, wonach es ihn verlangte.
Glücklicherweise aber schien er sich für diesen Abend darauf verlegt zu haben, bis zum Schluss die Rolle des galanten, doch hochanständigen Ballpartners spielen zu wollen. Am Ende des Tanzes vollführte er also zunächst eine ganz und gar untadelige Verbeugung, zog Amanda dann wieder aus ihrem Knicks empor und geleitete sie schließlich zurück zu dem Kreis der bereits auf sie wartenden Gentlemen.
Denn der Umstand, dass Martin für seinen ersten Walzer seit seinem Wiedereintritt in die Gesellschaft ausgerechnet sie als Tanzpartnerin erwählte, hatte Amandas Anziehungskraft auf einige der Herren nur noch gesteigert - eine Tatsache, auf die sie allerdings gerne hätte verzichten können. Im Übrigen aber verharrte Martin unnachgiebig an ihrer Seite, während sie wiederum ihr Talent zur unverbindlichen Plauderei unter Beweis stellte und die Unterhaltung damit auf die in der besseren Gesellschaft allgemein üblichen Themen lenkte. Leise beschlich sie dabei der Eindruck, dass Martin ihren Worten auffällig aufmerksam lauschte, ganz so, als wollte er von ihr lernen. Doch schließlich akzeptierte sie einfach, dass sie in dieser Hinsicht wesentlich mehr Erfahrung besaß als er, und wollte ihm diese Chance zum Lernen nicht verweigern; sie bemühte sich also, so viele der aktuell angesagten Gesprächsthemen anzuschneiden wie nur irgend möglich.
Bis sie irgendwann später den Eindruck gewann, dass sie nun genug zur Wiederauffrischung von Martins gesellschaftlichem Wissen getan hatte. Es war in genau dem Augenblick, als das Orchester zum zweiten Tanz aufspielte und Lord Ashcroft sich um die Gunst ihrer Hand bemühte. Großzügig gewährte sie ihm diese, nahm dabei jedoch wahr, wie Martins großer Körper - denn er stand noch immer unmittelbar neben ihr - sofort von einer gewissen Anspannung ergriffen wurde.
Und als Lord Ashcroft Amanda nach dem Kotillon wieder in ihren angestammten Kreis zurückführte, stand Martin selbstverständlich immer noch da - er beobachtete alles aufmerksam und wartete auf sie. Für Amanda schien es an diesem Abend allem Anschein nach nur einen Platz zu geben, und der war an seiner Seite. Sie akzeptierte ihr Schicksal also einfach, ohne dabei jedoch in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ein schwaches Gefühl des Unbehagens sie ergriff.
Und dieses Gefühl wurde, je weiter der Abend voranschritt und Martin noch immer nicht von ihrer Seite wich, nur noch intensiver. Alles in allem tat er so, als ob es allein seiner großzügigen Erlaubnis zu verdanken sei, dass Amanda auf diesem Ball zuweilen auch mit anderen Gentlemen tanzen durfte - es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese Erkenntnis auch besagten Herren aufgehen würde. Und natürlich auch allen anderen, die sie beobachteten. Das heißt, falls sich ihnen dieser Eindruck nicht ohnehin schon aufgedrängt hatte.
Dann, als die Aufmerksamkeit aller anderen in ihrem Kreis gerade ganz von einem Streitgespräch zwischen Lord Flint und Mr. Carr in Anspruch genommen wurde, ergriff Amanda die Gelegenheit beim Schopfe, zupfte Martin verstohlen am Ärmel und zischte ihm, als er sich zu ihr umwandte, leise zu: »Du solltest dich vielleicht auch einmal zu den anderen Gruppen auf diesem Ball gesellen.«
Er schaute zu ihr hinab. »Warum?«
»Weil es sonst schon einen außerordentlich entschlossenen Eindruck macht, wenn du nur mir deine ganze Aufmerksamkeit widmest.«
Er hob die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. »Aber ich bin ja auch außerordentlich entschlossen.« Er hielt ihrem Blick Stand. »Besonders, was die Dame betrifft, die ich gern zu meiner Gräfin machen möchte.«
Erschrocken riss Amanda die Augen auf. »Schhhhhhhhh!«
Noch einmal würde sie ihn jedenfalls nicht warnen. Stattdessen plauderte und tanzte sie einfach weiter, als wenn
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