Küsse im Mondschein
gespürt. Und obgleich Amanda gerne noch wesentlich mehr von diesen neuen Empfindungen erfahren hätte, so war der Zeitpunkt doch noch nicht der richtige. Und sie war zu klug, um Martin zu noch mehr zu drängen.
Sie war zu klug, um seine Selbstbeherrschung offen herauszufordern.
Sanft schob Martin den Umhang wieder über ihre Arme hinunter - doch Amanda hielt ihn zurück, hob eine Hand an seine Wange und hielt seinen Blick aus dunklen Augen in den ihren gefangen. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen auf, hob den Kopf leicht an und presste in einem langen, sehnsüchtigen, doch sittsamen Kuss - einem Kuss, so süß, wie sie ihn nur irgend heraufzubeschwören vermochte - die Lippen auf seinen Mund.
»Danke«, murmelte sie, als ihre Lippen sich wieder voneinander trennten. Dann schaute sie auf, sah ihm in die Augen, die kaum fünf Zentimeter von den ihren entfernt waren, und ließ ihn in ihren Augen forschen, ließ ihn die Aufrichtigkeit darin lesen.
Er schaute zur Seite, zögerte, neigte dann jedoch abermals den Kopf hinab und berührte noch einmal ihre Lippen - nur ganz zart und in den Mundwinkeln.
»Das Vergnügen war ganz meinerseits.«
Als er zwei Stunden später in sein Haus zurückkehrte, rief Martin sich diese Worte mit einer gewissen grimmigen Ironie noch einmal ins Gedächtnis zurück. Er war ihrem Flehen nur aus dem einen Grunde nachgekommen, weil er ihr sinnlichen Genuss bereiten wollte, weil er den Schmerz, den seine Küsse ihr verursacht hatten, lindern wollte.
Am Ende jedoch war auch er regelrecht dahingeschmolzen, wie verzaubert und geradezu verloren in den Empfindungen, die der simple Akt des sie Berührens in ihm geweckt und sich ihm bis ins Mark eingeprägt hatten. Er hatte sie liebkost. Hatte geschwelgt in der unterschiedlichen Beschaffenheit, in der unglaublichen Zartheit der Haut ihrer Brüste, ihrer fest zusammengezogenen Brustwarzen und der seidenen Flut ihres Haares.
Er hatte sie viel zu sehr genossen. Er wollte sie noch wesentlich intimer genießen dürfen. Doch das war der sichere Weg in den Wahnsinn.
Denn, um genau zu sein, war dies exakt der Weg, der ihn aus den engen Umgrenzungen, die er seiner Welt gesetzt hatte, und in denen er beschlossen hatte zu leben, wieder hinausführen würde.
Sie hatte ihn bereits dazu verlockt, sie zu begehren, hatte ihn schon dazu verführt, sich nach Dingen zu sehnen, die er einfach nicht haben konnte. Und je länger er es ihr gestattete, in seinem Leben zu verweilen, desto nachhaltiger konnte sie seine Verteidigung untergraben.
Martin ließ sich auf das Liegesofa in der Bibliothek fallen, nahm einen Schluck Brandy und starrte in das lodernde Kaminfeuer. Noch immer konnte er Amandas Gegenwart spüren. Das Gefühl ihrer Haut, ihres Körpers unter seinen Fingern schien sich geradezu in seine Hände eingebrannt zu haben, lebte in seinen Sinnen fort - und ihr Geschmack machte süchtig. In Gedanken hing Martin Amanda immer noch nach, fühlte immer noch sein Verlangen nach ihr.
Entschlossen wandte er seine Gedanken nun wieder dem Problem zu, wie er... wie er es endlich schaffen könnte, jeglichen Kontakt zu ihr abzubrechen.
6
Zwei Tage später schlich Amanda auf Zehenspitzen durch ihr Schlafzimmer, schlüpfte erst in Hemd und Unterröcke und legte dann ihr Reitkostüm an. Sie erledigte ihre Ankleideroutine vollkommen mechanisch, während sie in Gedanken bei Dexter verweilte, oder, genauer gesagt, bei Martin Fulbridge, dem Mann hinter der Mauer, wie sie ihn im Stillen nannte. Ihr letztes gemeinsames Intermezzo hatte Amanda noch einmal in dem Gefühl bestätigt, dass sie mit ihrer Einschätzung Recht gehabt hatte: Der Mann, der sich da in seiner selbst gewählten Einsiedelei versteckte, war genau der Mensch, als den sie ihn gleich von Anfang an gesehen hatte. Und nicht nur das, er hatte sogar noch wesentlich interessantere Charakterzüge, als man zunächst ahnen konnte. Es gab noch wesentlich tiefere Sehnsüchte in ihm, noch wesentlich tiefer gehende Bedürfnisse - doch auch die gefährlichen Unterströmungen reichten noch deutlich tiefer, als es ursprünglich den Anschein gehabt hatte. Martins ganzes Wesen war viel komplexer, als Amanda anfangs gedacht hatte.
Und er stellte eine größere Herausforderung für sie dar als jeder andere Mann, dem sie bisher begegnet war.
In ihrem Inneren breitete sich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit aus. Denn nun hatte sie sie endlich gefunden, jene kostbare Beute, jenen schwer fassbaren Mann - und sie wusste, sie
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