Küsse im Mondschein
Anwesenden offenbar erst kürzlich erworben hatte. Amanda hatte es sich bei dieser Gelegenheit nicht verkneifen können anzumerken, dass die Wirkung von derlei Kunstwerken auf Frauen im Allgemeinen weit überschätzt würde. Woraufhin sämtliche der in Hörweite versammelten Gentlemen Amandas Meinung sofort und mit geradezu gönnerhaftem Gebaren als reinen Mumpitz abgetan hatten.
Mehr hatte es in der Gemütsverfassung, in der sie sich derzeit befand, nicht gebraucht, um sie dazu zu verleiten, der herrschenden Meinung auch weiterhin Paroli zu bieten und an ihrer Sichtweise festzuhalten. Der eigentliche Grund für ihre Verachtung allerdings war gar nicht einmal das Niveau dieser nur schlecht verhüllten Zweideutigkeiten, sondern eher die Tatsache, dass augenscheinlich alle der an der Diskussion beteiligten Herren ihr bloß eine recht bescheiden strukturierte Intelligenz zutrauten. Die Kerle glaubten doch tatsächlich, Amanda hätte die Andeutungen nicht verstanden und wäre noch immer der naiven Ansicht, es ginge bei der Diskussion lediglich um den malerischen Reiz irgendwelcher Radierungen. Die Gentlemen hier glaubten also tatsächlich, sie könnten Amanda dazu verleiten, sich schließlich noch um Kopf und Kragen zu reden.
Für wie naiv hielten sie sie eigentlich?
Selbstverständlich wusste Amanda genau, welche spezielle Sorte von Radierungen hier gemeint war - sie war immerhin schon dreiundzwanzig! Ein paar dieser Werke hatte sie sogar schon selbst gesehen, und von anderen wiederum hatte sie gehört, und überhaupt hatte man sie bereits von frühester Jugend an mit den Werken von Künstlern wie Fragonard vertraut gemacht. Ihr Standpunkt in dieser Diskussion war nicht bloß irgendeine Theorie, sondern gesicherte Tatsache: Kunstwerke, ganz gleich, welcher Art das dargestellte Thema auch sein mochte, hatten Amandas Leidenschaft noch nie entfachen können.
Doch das war ein Punkt, den sie den hier Versammelten wohl noch ein wenig deutlicher würde vor Augen führen müssen; obgleich Amanda, so regelrecht ausgehungert nach echter intellektueller Kurzweil, wie sie mittlerweile war, nicht ganz ausschließen konnte, dass sie aus einer Laune heraus womöglich auch das Ihre dazu beigetragen haben könnte, dass diese Diskussion überhaupt erst entbrannt war. Ihr derzeitiger Kurs in dieser Angelegenheit sah jedenfalls so aus, dass sie ganz entspannt abwartete, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die anwesenden Gentlemen endlich mal kapierten, dass Amanda keineswegs so dumm war vorzuschlagen, ihre These doch einfach einmal selbst unter Beweis zu stellen, indem sie sich eine der Sammlungen dieser angeblichen Kunstkenner ansah.
Das zumindest war Amandas Haltung in dieser Posse gewesen, ehe Dexter neben ihr erschienen war. Nun aber, da er sich der Diskussion offenbar anschließen wollte...
Amanda hob die Brauen. »Ihr habt doch sicherlich auch eine Meinung dazu, nicht wahr, Mylord? Schließlich sollte man doch meinen, dass gerade Ihr auf diesem Gebiet bereits recht bewandert seid.«
Fest hielt er den Blick in ihre Augen gesenkt. Schließlich verzog er die Lippen zu einem müden Lächeln, das Amanda regelrechte Schauer über den Rücken rieseln ließ. »Meiner Ansicht nach verfehlen diese Radierungen nur sehr selten ihren Zweck. Wenngleich da natürlich auch die Sensibilität der fraglichen Dame noch mit hineinspielt - die hat selbstverständlich auch einen gewissen Einfluss auf das Ergebnis.«
Auf Martins in schleppendem Tonfall vorgetragene, doch gleichwohl scharf artikulierte Worte folgte allgemeines Schweigen.
Amanda starrte ihn an, war geradezu gefangen in seinem Blick. Sie hatte damit gerechnet, dass er sie erst einmal wieder drohend ansehen würde und dann versuchte, die Diskussion irgendwie zu ersticken. Was sie nun allerdings überhaupt nicht erwartet hatte, war, dass Martin sich in diesem Streitgespräch auf die Seite der Männer schlug und Amanda mit seiner geschickten Formulierung genau jenen Fehdehandschuh entgegenschleuderte, den auch die anderen Herren ihr schon seit geraumer Zeit hatten aufdrängen wollen. Hinter ihrer höflichen Maske wurde Amanda von echtem Entsetzen ergriffen.
»In der Tat«, schnurrte Mr. Curtin. »Genau diese Erfahrung habe ich auch stets gemacht.«
»Richtig, richtig«, stimmte Lord McLintock mit ein. »Und das wiederum bedeutet, meine Liebe, dass Ihr Euch, wenn Ihr Euren Standpunkt halten wollt, wohl mal eine Reihe geeigneter Radierungen werdet ansehen müssen. Ich würde mich
Weitere Kostenlose Bücher