Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
»Holzfällen. Eine Erregung.«) – keine leichte Kost, aber kluge Gesellschaftsporträts.
Drei Romane – ein Thema
Dreimal haben wir Sie in diesem Kapitel bislang hingehalten. Das hat einen besonderen Grund. Denn an einem Beispiel möchten wir verdeutlichen, wie Literatur über Sprachgrenzen hinweg mit einem ähnlichen Thema umgeht. Dazu stellen wir drei fiktive Schicksale von Frauen vor, die sich in eine außereheliche Affäre flüchten. Keine gute Idee angesichts der Konventionen ihrer Zeit, des 19. Jahrhunderts: Alle drei Frauen sind folglich am Ende des jeweiligen Romans tot.
Theodor Fontanes (1819–1898) »Effi Briest« stirbt mit nicht einmal 30 Jahren an gebrochenem Herzen. Ihr viele Jahre älterer, ungeliebter Ehemann hat sie verlassen, nachdem er ihren kurzzeitigen Liebhaber wegen einer lange zurückliegenden Affäre im Duell erschossen hatte.
Leo Tolstois (1828–1910) »Anna Karenina« setzt ihrem Leben selbst ein Ende. Sie wirft sich vor einen Zug, nachdem sie ihren Mann und ihren kleinen Sohn verlassen hat, um zu ihrem Liebhaber, einem Offizier, zu ziehen. Dieser verliert jedoch bald das Interesse an ihr.
Auch Gustave Flauberts (1821–1880) »Madame Bovary« langweilt sich in ihrer Ehe mit einem Landarzt. Ein Gutsbesitzer verführt sie und lässt sie dann fallen. Emma Bovary vergiftet sich daraufhin mit Arsen.
Alle drei Werke zählen zum literarischen Realismus. Die Schriftsteller dieser Epoche versuchten, die gesellschaftliche Wirklichkeit ihrer Zeit abzubilden, nicht zuletzt deren Zwänge und die von einer bürgerlichen Weltanschauung bestimmte Enge. Sie verzichten dabei aufs Moralisieren, vielmehr glauben sie an die Kraft des Erzählens – und damit an die Kraft der Literatur. Und so sind alle drei Romane großartige Liebesgeschichten und Teil der Weltliteratur. Die natürlich noch mehr zu bieten hat: Sie kennt Schauerromane, Kriminalromane, historische Romane, Fantasyromane, Entwicklungsromane, Schelmenromane und und und … Es lohnt sich also auf jeden Fall, vom Gelegenheitsleser zum Vielleser zu werden.
Zehn lesenswerte Romane der Weltliteratur
1. »Der Prozess« (1925, posthum) von Franz Kafka (1883–1924). In dem Romanfragment gerät Josef K. in die Mühlen einer undurchsichtigen Behörde. Er erfährt nie, wessen er angeklagt ist. Eine beklemmende Vision in glasklarer Sprache. Alternativ: die Erzählung »In der Strafkolonie«, die sich nicht minder eindrucksvoll mit der Frage »Wie gerecht sind Rechtssysteme?« auseinandersetzt.
2. »Die Säulen der Erde« (1990) von Ken Follett (*1949). Ein solider Unterhaltungsroman, in dem man eine Menge über den Kathedralenbau in England lernt. Er erfüllt die beiden Hauptkriterien für gute Unterhaltungsliteratur: Der Roman ist sorgsam recherchiert und verpackt das Ergebnis der Recherche in eine spannende Handlung. Nichts ist schlimmer, als wenn die Protagonisten in einem Roman sprechen, als seien sie der Brockhaus, um zu zeigen, wie gut der Autor sich in die Thematik eingearbeitet hat.
3. »Lady Chatterleys Liebhaber« (1928) von D. H. Lawrence (1885–1930). Lust auf etwas Verruchtes? Aber mit literarischem Anspruch? Lawrence’ Roman über eine außereheliche Affäre wurde wegen anstößiger Stellen mehrfach verboten. In Großbritannien durfte das Buch bis 1960 nicht publiziert werden. Dennoch handelt es sich um große Literatur.
4. »Die Liebe in den Zeiten der Cholera« (1985) von Gabriel García Márquez (*1927). Die Geschichte einer Liebe, die über ein halbes Jahrhundert auf ihre Erfüllung wartet, ist eine gute Alternative zu dem etwas verworrenen Hauptwerk des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers, dem Roman »Hundert Jahre Einsamkeit«.
5. »Der Gebrauch des Menschen« (1994) von Aleksandar Tišma (1924–2003). Ein serbischer Autor, der den Literaturnobelpreis verdient hätte, aber nie erhalten hat. Der Roman spielt während der Nazi-Besatzung der nordserbischen Stadt Novi Sad. Alternativ: »Roman eines Schicksallosen« (1975) von Imre Kertész (*1929) behandelt den Alltag in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald aus der Sicht eines naiven Jungen.
6. »Die Strudelhofstiege« (1951) von Heimito von Doderer (1896–1966). Kein leichter Roman, aber ein Schlüsselwerk der literarischen Moderne und ein Gesellschaftspanorama des versunkenen Habsburgerreiches. Das vorangestellte Gedicht auf die Strudelhofstiege (eine Treppe in Wien) endet mit den wunderbaren Zeilen: »Viel ist hingesunken
Weitere Kostenlose Bücher