Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
kein Wort.
Manchmal,
wenn es ihm gelang, über die Schulter nach hinten zu sehen, erkannte er ein
Stückchen von ihnen. Uniformträger. Gewehre im Anschlag. Entschlossenheit im
Blick. Flucht war ausgeschlossen.
Er
wollte doch nicht sterben.
Irgendetwas
war gründlich schiefgegangen – aber
was?
Erst nach Wochen begriff
er, dass die Botschaft niemanden schickte – und
nie jemanden schicken würde.
Wahrscheinlich
war er nicht prominent genug.
Vielleicht
war das auch gar kein Gefängnis, sondern eine Art Gefrierschrank, in dem man
Leute lagerte, die gegen Lösegeld freigelassen wurden.
Seine
Mutter war nicht vermögend.
Wenn er
die Männer über den Gang kommen hörte, mit jenem Schritt, der ihm galt, hoffte
er noch einige Zeit, man habe für ihn gesammelt. Die Kirche vielleicht. Um sein
Leben zu retten. Danach empfand er nur noch Enttäuschung.
Er
würde hier verrecken und keiner setzte sich für ihn ein.
Die
anderen hatten ihn abgeschrieben.
Lebten,
liebten, genossen die Jahreszeiten.
Scheißlos!
30
»Guten Morgen!« Silke wirkte
ausgeschlafen und fit. Offensichtlich machte ihr eine kurze Nacht nichts aus.
»Morgen!«
Nachtigall bemühte sich um einen lockeren Ton.
»Wir
haben heute schon ein Fax vom LKA bekommen. Den Bericht der Untersuchung von
Grendkes Leichnam.«
»Ach,
wie kommen die gerade jetzt darauf?«, fragte Wiener überrascht.
Silke
ging nicht darauf ein. »Im Laderaum eines Frachters wurde beim Löschen der
Ladung in Rotterdam eine männliche Leiche zwischen dem Frachtgut entdeckt. Der
Tote trug eine Hose und ein zerrissenes Shirt – weiter
nichts. Allerdings entdeckte die Polizei in der Nähe des Körpers eine Tasche.
In der steckte ein Heft, alle Seiten eng beschrieben, daneben eine Haarbürste,
mehr nicht. Und auf dem Heft sowie im Leder der Tasche stand Maik Grendke.
DNA-Abgleich wurde vorgenommen. Es dauerte wohl eine ganze Weile, bis der
Leichnam jemandem auffiel, dann noch eine Weile, bis die Nachricht zum LKA
durchgestellt wurde – und wieder, bis sie uns erreichte. Fakt ist: Maik Grendke ist
seit Monaten tot.«
»In
diesem Fall führt jeder Schritt in eine Sackgasse«, beschwerte sich Nachtigall,
und auch Wieners Laune schien sich deutlich verschlechtert zu haben.
»Wir
fahren jetzt zur Obduktion. Ich habe mir eine der Kisten mit beschriebenen
Seiten vorgenommen. Überwiegend Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend. Am
Rand steht irgendetwas mit Connection, das erste Wort ist unleserlich. Die
Anmerkung wurde ohne erkennbaren Bezug zum Text dort gesetzt. Das Material
stammt aus der Wohnung von Holzmann. Vielleicht gibt es noch mehr Hinweise
darauf, irgendwo eine Erklärung dafür oder einen neuen Verweis zum Beispiel auf
eine Internetseite. Silke, kümmerst du dich bitte um die Kiste dort?«
Nachtigall zeigte vage in Richtung Schreibtisch.
»Ach ja – und
bei Langer ist nach unserem Besuch alles ruhig geblieben. Maik Grendke kann er
jedenfalls nicht in seinem Keller gesehen haben. Wenn jemand dort gelauert hat,
ist ihm der Boden zu heiß geworden, als er den Polizeiauflauf bemerkte.« Silke
schmunzelte. »Wenn wir ihm erzählen, dass Grendke nicht mehr lebt, glaubt er
sicher, sein Geist wollte ihn holen. Hysteriker.«
»Ich
denke, seine Panik war echt. Er hat jemanden gesehen. Da er uns nicht sagen
will, wen, hat er einfach einen Namen vor unsere Nasen geworfen, den wir schon
kannten. Ich habe ihm schon gesagt, dass sein Freund von damals tot ist.«
Nachtigalls ernstes Gesicht machte Silke nachdenklich. »Kein Theater? Mir kam
das gestern wie eine Showeinlage vor.«
»Wir
haben ihm erzählt, dass jemand seine Freunde tötet. Ich verstehe schon, dass er
nun etwas nervös reagiert. Zumal er mehr weiß als wir, uns aber nichts davon
preisgeben will.«
Dr. Pankratz stützte sich auf
zwei Gehhilfen ab.
»Du
liebe Zeit«, sagte Nachtigall betroffen, »hätte ich gewusst, wie schwer du dich
verletzt hast, wären wir natürlich nach Potsdam gefahren! Tut mir leid.«
Der
Rechtsmediziner schüttelte den Kopf. »Das sagt nun ausgerechnet der Ermittler
mit Gehirnerschütterung und Gipsarm! Mann, Mann! Im Moment ergänzen wir uns
doch formidabel, und was wir nicht gegenseitig ausgleichen können, übernimmt
eben die Jugend.«
»Sicher«,
meinte Wiener trocken.
Auf dem
Seziertisch lag der schwarz- verkohlte Torso, auf einem neben den
Edelstahltisch geschobenen Wagen befanden sich Kopf und Extremitäten. So
entstand zumindest eine grobe Ordnung.
Der
Rechtsmediziner
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