Kunstgriff
ein fieser Dürrer dazu. Die Bullen behaupten, Undine wurde der Jawlensky geklaut.«
Ein Sturzbach an Tränen folgte. Tränen des Zorns, nicht des Kummers, vermutete Norma. Sie reichte dem Mädchen ein Papiertaschentuch. »Du sprichst in Rätseln, Nina. Um welchen Jawlensky geht es überhaupt?«
Nach deutlichem Zögern tupfte Nina sich mit dem Taschentuch im Gesicht herum. Mit dem verheerenden Ergebnis, das sie wohl befürchtet hatte. Schluchzend sagte sie: »Davon kannst du gar nichts wissen, Mieke. Sie redet nicht darüber. Weil’s ihr peinlich ist. Eine halbe Million ist das Bild wert. Das ›Schweigende Rot‹. Meine Mutter lässt es einfach in der Wohnung stehen. Ist das zu glauben? Bei offener Tür! Dreimal darfst du raten, wer es geklaut haben soll. Ich und Rico!«
»Habt ihr das Bild gestohlen?«
»Ach, hör mir auf mit dem Bild. Die Bullen wollen uns Pitts Tod anhängen!«
»Beruhige dich erst mal. Komm!« Norma führte das Mädchen zum Besuchertisch. »Magst du einen Kaffee?«
Umständlich hockte sich Nina auf die Stuhlkante. »Nee, lieber Wasser.«
Norma holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser und setzte sich gegenüber. »Wer ist Pitt?«
»Kriegst du gar nichts mit? Der Tote von der Platte, das ist Pitt. Oder viel mehr, das war Pitt. Früher war er mal Ricos Trainer. Und jetzt glauben die Bullen irgendwie, dass Rico und ich Pitt umgebracht haben. Das ist doch irre!«
»Habt ihr den Jawlensky gestohlen?«
Nina überhörte auch die zweite Frage nach dem Gemälde. Gedankenverloren zerpflückte sie das Taschentuch. »Die eigene Tochter bei der Polizei anschwärzen, das macht man doch nicht! Das ist doch nicht normal für eine Mutter, oder?« Sie verschonte das Taschentuch für einen Moment und richtete einen verzweifelten Blick auf Norma, bevor sie stockend von der Vernehmung erzählte. Milano und Wolfert hatten sie aus der Boutique abholen und ins Kommissariat bringen lassen. Dort verlangten sie eine minutiöse Schilderung ab Montagvormittag, dem Tag des Diebstahls, und der anschließenden Nacht bis in die frühen Morgenstunden des Dienstags, dem Tag, an dem Metten ums Leben kam.
Nina redete sich erneut in Rage. »Was ich mache, geht niemanden was an! Erst recht nicht die Polizei.«
»Es sei denn, man gerät unter Verdacht. Was genau hast du den Kommissaren erzählt?«
»Dass ich die ganze Nacht zum Dienstag mit Rico zusammen war! In meinem Zimmer in der WG. Bis morgens um 9.45 Uhr. Nach dem Frühstück bin ich in die Boutique gegangen, und Rico wollte zum Training. Vorher hat er Paul den Wagen zurückgebracht.«
»Was für einen Wagen? Und wer ist Paul?«
»Paul macht auch Triathlon. Manchmal leiht er uns das Auto. Eine Klapperkiste, aber besser als nichts.«
»Was wolltet ihr mit dem Wagen?«
Sie schaute widerspenstig auf. »Nichts weiter, ein bisschen rumfahren. Was ist denn dabei?«
Brauchten sie das Fahrzeug, um den Bilderkoffer unauffällig zu transportieren? Norma hob sich weitere Fragen dazu für später auf. »Habt ihr Zeugen für den frühen Dienstagmorgen?«
Nina zuckte die Achseln. »Marco hat mal wieder im Proberaum gepennt, und Daniel war auf Nachtschicht. Er ist irgendwann morgens gekommen und gleich in seinem Zimmer verschwunden. Aber er sagt bestimmt, dass er uns gesehen hat. Der verrät seinen Bruder nicht.«
Norma verzichtet auf eine Bemerkung zu dieser seltsamen Auffassung von Verrat. »Und am Montag?«
»Da hatte ich frei. Hab lange geschlafen, so bis 11 Uhr, und bin dann in die Stadt gegangen. Gegen 15 Uhr war ich wieder zu Hause. Daniel kann das bestätigen. In echt! Er war in der Küche, als ich nach Hause kam.«
»Hast du in der Stadt jemanden getroffen?«
»Klar! Mindestens tausend Leute.« Der kirschrote Kindermund zeigte ein verwischtes Lächeln.
»Nina, das ist kein Spaß! Hat dich jemand gesehen, der das bestätigen kann? In welchen Läden warst du? Hast du die Quittungen aufgehoben?«
Wieder ein Achselzucken. »Ich bin durch die Kaufhäuser gezogen und habe keinen getroffen, den ich kenne. Geklaut habe ich nichts und gekauft auch nicht. Von was auch? Die Alte gibt mir viel zu wenig Knete, und mein Gehalt ist eine Zumutung. Das Taschengeld von meinem Vater geht immer gleich für die Schulden drauf.«
»Also kannst du nicht nachweisen, wo du am Montagmittag warst! Und Rico?«
Nina bröselte die Taschentuchfetzen auf den Fußboden und nahm das Wasserglas auf. »Rico hat auf dem Rad trainiert. Er war im Taunus unterwegs.«
»Gibt es dafür
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