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Kupferglanz

Titel: Kupferglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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hatte er es selbst nicht gewusst?
    Draußen regnete es heftig, die Tropfen gruben kleine Furchen in den Sandweg, der zum Polizeirevier führte. Nach den zehn Metern zu meinem Lada war ich völlig durchnässt. Ich fuhr an der Plörre vorbei zu den Höjts. Man hätte meinen sollen, dass der Regen die Farbe des Teichs abschwächte, aber er leuchtete im gleichen tiefen Weinrot wie immer. Komisch, dass sich Jaskas Hand, die so lange im Wasser gelegen hatte, nicht purpurrot gefärbt hatte. Als kleines Kind hatte ich mir vorgestellt, der See Viinijärvi, der in der Nähe von Arpikylä lag, hätte die gleiche Farbe wie der Teich. Ich war sehr enttäuscht gewesen, als ich feststellte, dass er ganz normales blaues Wasser enthielt, das nach nichts schmeckte.
    Seltsam, wie die Farben der Plörre lebten, obwohl der Boden tot und ausgeschlachtet war. Die Bergwerksgesellschaft hatte das Metall aus dem Grundgestein geholt, den Boden unter der Stadt ausgehöhlt und ihre Einwohner schuften lassen, bis sie schwach und gebrechlich waren. Als die Kupferadern erschöpft waren, hatte sie sich einfach zurückgezogen und eine Geisterstadt hinterlassen, aus der alle jungen Leute wegwollten. Am Rand des Einsturzgebiets waren nur die alten Leute zurückgeblieben ‐ und Typen wie Jaska, die ihren leeren Träumen nachhingen. Zum Glück waren Leute wie Meritta, Math und Seppo Kivinen aufgetaucht und hatten dem von der Bergwerksgesellschaft verwüsteten Boden neues Leben eingehaucht.
    Bei Flöjts machte niemand auf, aber das lag sicher an der dröhnenden Musik, die das Haus füllte und alle anderen Geräusche übertönte. Die Tür war nicht abgeschlossen, also schlich ich mich hinein.
    Aniliina und ein fast glatzköpfiger Mann saßen zusammengesunken auf dem Fußboden im Atelier und starrten zu dem großen Fenster hinaus, gegen das der Regen peitschte, als wollte er herein. Merittas Stereoanlage war voll aufgedreht, das Klagen eines Cellos erfüllte den Raum, dann kam ein wehmütiger Bass hinzu: «Lamor per me non fa… » oder so ähnlich, es klang vage bekannt. Aniliina verschwand fast in ihrem großen Pullover. Der Mann hatte wohl meine Schritte auf dem Fußboden gespürt, er drehte sich zu mir um.
    Aniliina sah ihrem Vater sehr ähnlich, auch wenn er ein fülligeres Gesicht hatte und seine Lippen anders geformt waren. Per Fernbedienung stellte er die Musik ab, und nun bemerkte auch Aniliina meine Anwesenheit.
    «Danke, dass Sie Aniliina nach dem Einbruch zu sich geholt haben», sagte Märten Flöjt, als wir allein waren. «Ich konnte beim besten Willen nicht früher kommen, das Orchester steckte mitten in den Plattenaufnahmen von Don Carlos, und ich bin nun mal der Solocellist.»
    «Das, was eben lief?», fragte ich, zufrieden, dass ich immerhin ein Cello von einem Kontrabass unterscheiden konnte.
    «Ich und Jaakko Ryhänen, das Master Tape. Die Arie Philipps des Zweiten.»
    Irgendwann in der Pubertät hatten meine Eltern mich nach Savonlinna in Verdis Don Carlos geschleppt. Zu meinem Entsetzen hatte ich festgestellt, dass mir die Oper gefiel. Vielleicht klang die Arie deshalb so bekannt.
    «Sind Sie wegen Jari hier?»
    Ich war erleichtert, dass die Flöjts schon von Jaskas Tod erfahren hatten.
    Während der Fahrt hatte ich mich darauf vorbereitet, ihnen die Nachricht überbringen zu müssen.
    Ich erklärte ihm die Sache mit dem Schlüssel. Märten sagte, er kenne sich im Haus nicht gut aus.
    «Meritta und ich waren immer noch gute Freunde, aber ich habe sie nicht sehr oft hier besucht. Aniliina kam viel lieber nach Helsinki, wenn sie mich sehen wollte.»
    «Wie hat sie Jaskas Tod aufgenommen?»
    «Als sie es hörte, ging sie und erbrach sich. Seitdem ist sie ganz still, wir haben Musik gehört. Eine Freundin von Aniliina und Meritta kommt heute Abend vorbei, irgendeine Kaisa. Von Jaana und der Großmutter will die Kleine nichts wissen.»
    «Wann kommt Aniliinas Therapeutin aus dem Urlaub zurück?»
    «Anfang August, hat Aniliina gesagt.»
    Noch fast ein Monat. Ich hatte den Eindruck, dass Aniliina professionelle Hilfe brauchte. Die hatte wohl jeder nötig, der zwei nahe Angehörige durch gewaltsamen Tod verliert, umso mehr ein psychisch krankes Mädchen in der Pubertät. Wir redeten eine Weile über Aniliina, und ich war erleichtert, dass Märten zu verstehen schien, wie ernst die Situation war.
    Aniliina kam mit den Teetassen herein. Auf dem Tablett lag auch frisches Hefegebäck, das mir zum Bewusstsein brachte, dass ich wohl doch etwas

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