Kupfervenus
Gegend hier macht zwar einen ganz friedlichen Eindruck, trotzdem solltest du des Nachts nichts riskieren.« Helena war an sich ein vernünftiges Mädchen, aber über den Alltag in Proletenkreisen würde ich ihr doch noch eine ganze Menge beibringen müssen.
Noch vom Flur draußen rief sie: »Marcus, hast du diesen Spalt in der Wand gesehen? Glaubst du, das ist Kunst am Bau?«
»Wahrscheinlich, ja.«
Endlich hatten wir es geschafft. Die Wohnung roch zwar immer noch nach Fisch, aber alles war wieder sauber, bis auf den Fußboden, und da konnte ich morgen schnell drüberwischen. »Danke! Du bist eine Perle.«
»Gern geschehen – es hat mir sogar Spaß gemacht.«
»Na, ich bin froh, daß wir’s hinter uns haben! Es ist nämlich ein Unterschied, mein Herz, ob man einmal aus Jux die Arbeit von zwanzig Sklaven erledigt – oder ob man sie jeden Tag machen muß.« Dann setzte ich mich hin und polierte in aller Ruhe meine guten Bronzelöffel. »Verschweigst du mir am Ende was?« Helena blieb stumm. »Na, komm schon, raus damit: Du bist von zu Hause durchgebrannt.« Selbst wenn bei uns alles in Butter war, wurde sie nervös, sobald es den Anschein hatte, als könnte ich in ihre Geheimnisse eindringen. Und gerade das hatte mich bei Helena von Anfang an gereizt: daß sie so schwer auftaute. Sie blickte mich finster an. Ich guckte finster zurück. »Ich bin Privatermittler, Helena – ich kann Indizien deuten! Außer dem Diwan deines Vaters steht drüben noch eine Truhe mit deinem zweitbesten Kleid und deinen Ersparnissen drin …«
»Mein zweitbestes Kleid habe ich an«, widersprach sie. »Und in der Truhe liegt die Besitzurkunde, die mir das Recht aufs Erbe meiner Tante Valeria sichert …«
Wenn ich mich so unsterblich verliebe wie in Helena Justina, dann werde ich bald neugierig und forsche nach, auf was ich mich eingelassen habe. Ich wußte also, daß das kleine Landgut ihrer Tante nur einen Bruchteil von Helenas Portefeuille ausmachte. Und ich kannte Helena recht gut; was sie vorbrachte, hörte sich ganz so an, als verzichte sie aus freien Stücken auf die Apanage, die ihr Vater ihr ausgesetzt hatte.
»Krach mit der Familie?«
»Wenn ich Schande über die Familie bringe, kann ich doch kein Geld von ihr nehmen!«
»So schlimm ist es?« Ich runzelte die Stirn. Helena war keine von diesen verwöhnten Gesellschaftsmiezen, die aus purem Trotz mit dem Fuß aufstampfen und ihr Recht auf ein paar Skandale einfordern. Nein, Helena liebte ihre Familie. Ihren Eltern Kummer zu machen, tat ihr bestimmt in der Seele weh. Ich war nicht gerade stolz darauf, daß ich sie just dazu angestiftet hatte – um sie dann hängenzulassen.
Sie überraschte mich mit einem Erklärungsversuch: »Ich bin dreiundzwanzig. Ich habe bereits eine Ehe und eine Scheidung hinter mir. Trotzdem ist es eine Schande, einfach so aus dem Haus meiner Eltern fortzulaufen – nur, ich komme daheim einfach nicht mehr zurecht.« Nun war es durchaus nicht dasselbe, ob ein Mädchen vor den Zwängen eines Höhere-Tochter-Daseins davonlief oder ob sie zu mir gelaufen kam. Mit welcher Variante hatte ich es hier zu tun?
»Wollen deine Leute dich etwa wieder verheiraten? Mit irgend so einem langweiligen, überkorrekten Senatorenschwengel?«
»Wenn du jetzt hier wohnst«, meinte sie (meine Frage übergehend), »könnte ich doch in deine alte Bude einziehen …«
»Aber nicht allein.«
»Ich bin nicht furchtsam!«
»Solltest du aber! Die Brunnenpromenade hat sogar mich das Fürchten gelehrt.«
»Es tut mir leid«, sagte Helena niedergeschlagen. »Ich hätte mich doch von Titus heimbringen lassen sollen …«
»Zum Hades mit Titus!« Wir hatten immer noch diesen ungeklärten Zwist am Hals, der im Augenblick jede vernünftige Entscheidung blockierte. Doch wenn wir jetzt, mitten in der Nacht, angefangen hätten zu streiten, wäre es womöglich zur Katastrophe gekommen. »Wenn du nach Hause willst, dann bringe ich dich hin! Aber zuerst sagst du mir, was du hier gewollt hast.« Sie schloß müde die Lider, und ich war ausgesperrt. »Helena, das bist du mir schuldig!«
»Ich wollte mich erkundigen, ob die Stelle noch frei ist – die für das Mädchen, das Mitteilungen entgegennimmt.«
»Die wartet immer noch auf die richtige Bewerberin.«
Sie sagte nichts, sah mich aber wenigstens wieder an. »Bleib heute nacht hier und überschlaf es«, bat ich ruhig. »Ich biete dir wenigstens eine ordentliche Bleibe. Ich fände es furchtbar, wenn du in zugigen Tempeleingängen
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