Kurbjuweit, Dirk
Krokodils.»
«Und das
hast du bei dir machen lassen?»
«Warum
nicht?»
«Warum?»
«Ist doch
cool.»
«Weil du
glaubst, dass es dich unverwundbar macht?»
«Vielleicht.»
«Du
spinnst.»
«Ich
erzähl dir noch etwas.»
Sie
schmiegte sich an ihn, ihre Hände lagen zwischen dem Sitzpolster und seinem
seltsamen Rücken.
«Auf
Neuguinea gab es bis in die zwanziger Jahre Kopfjäger. Weißt du, warum sie
Jagd auf Köpfe gemacht haben?»
«Nein.»
«Sie
brauchten Namen.»
«Sie
brauchten Namen?»
«Sie
brauchten Namen.»
«Es gibt
Namen. Sie hätten ihren Kindern einfach Namen geben können.»
«Bei ihnen
ging das nicht. Sie glaubten, dass alle Namen schon vergeben waren. Wer einen
Namen haben wollte, musste sich einen holen. Das heißt, er musste jemanden
töten, damit er dessen Namen übernehmen konnte.»
«Das haben
die geglaubt?»
«Das haben
die geglaubt. Sie haben Dörfer überfallen, Leuten die Köpfe abgeschnitten und
nach Hause gebracht. Damit hatten sie Namen für ihre Kinder.»
«Und die
Köpfe?»
«Die haben
sie verwesen lassen, dann mit Lehm modelliert und angemalt. Jedes Kind bekam
den Kopf des Menschen, von dem es den Namen übernommen hatte. Das war sein
Glücksbringer.»
Er
schwieg. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter, ihre Lippen berührten seinen Hals.
«Hast du
Namen, kannst du Kinder bekommen?», fragte sie.
«Ja.»
«Viele?»
«Viele.
Kannst du Kinder bekommen?»
«Nein.»
«Gut.»
Sie
vereinbarten, dass Esther als Erste zurückgehen solle. Sie zog sich ihre Hosen
an, eine kurze Umarmung, ein Kuss. Nach einer Handynummer oder einer
E-Mail-Adresse fragten sie nicht. Als Esther ein Stück gegangen war, rief er
ihren Namen. Sie ging zurück, seltsam ergeben, als könne sie ja sagen, wenn er
um ihre Hand anhielte. Er fragte, ob sie mit ihm Einmannpackungen tauschen
würde, er sei das amerikanische Essen leid. Sie willigte ein, und sie
vereinbarten einen Treffpunkt in der Nähe ihrer Unterkunft. Dort sahen sie sich
eine Viertelstunde später. Sie tauschte fünf deutsche Einmannpackungen, die
sie in ihrem Spind gefunden hatte, gegen drei amerikanische. Als das erledigt
war, trennten sie sich ohne Berührung, es war zu gefährlich bei den Häusern,
wo man jederzeit mit einem Somnambulen rechnen musste,- aber am nächsten
Morgen konnte sie sich auch nicht an das Bedürfnis erinnern, Jordan noch einmal
zu berühren. Vor dem Frühstück schaute sie nach den Humvees und war
erleichtert, dass sie, wie erwartet, nicht mehr da waren. Zwei, drei Tage lang
verfolgte sie gespannt die Nachrichten, die im Lager eintrafen,- von Kämpfen in
der Region war nicht die Rede, auch Racheakte gab es nicht. Ina und Maxi
wunderten sich, wo die amerikanischen Einmannpackungen herkamen, gaben sich
aber zufrieden mit der Erklärung, dass sie mit einem Marine getauscht habe, der
in der Bar war. Kein Grinsen.
Eine Weile
war sie neu belebt. Sie dachte an Krokodile, an Kopfjäger, an ihre etwas
bedenkliche Enthemmtheit in dem Humvee. Sie war auf einmal in ihrem Alter, die
Frau, die sie kannte. Aber dann staubten ihre Gedanken wieder ein, und sie
langweilte sich erneut. Manchmal, nach Dienstschluss, stand sie am Tor und sah
hinaus. Dürres, flaches Land, Autos, Busse, ein Radfahrer. Zwei Männer hockten
am Straßenrand, reglos, schweigend. Ein Konvoi kam herein, Dingos und Wölfe,
sie schaute in die Gesichter der Soldaten, Sonnenbrillen, einer hob den Daumen.
Sie trottete zurück, noch hundertvierundvierzig Tage.
Abends
erzählte Maxi von ihrer ersten Tour in Afghanistan vor zwei fahren, damals war
sie in Kabul gewesen.
«Wir haben
immer von Schwämmen geredet», sagte sie.
«Warum
Schwämme?»
«Weil die
ihre Sprengfallen mit Nägeln, Schrauben und ähnlichem Zeug ausrüsten, und wenn
so ein Ding neben dir hochgeht, hat dein Bein hundert Löcher und sieht aus wie
ein Schwamm.»
«Hör auf.»
«Das Blut
sprudelt nur so heraus.»
Sie
schwiegen. Bald schnarchte Ina leise, Maxi atmete zerhackt, und Esther tauchte
in den Nebel eines nervösen Traums. Sie tauschte flüchtig Zärtlichkeiten mit
Major Klimmt, ohne den Wunsch zu haben, sich zu berühren, und sah dann ihre
Beine als Schwamm. Mit dem gar nicht so unangenehmen Gefühl, eine langsam Verblutende
zu sein, fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Der
nächste Tag war wie gestern und vorgestern, nur dass es diesiger war. Der
Hindukusch schien verschwunden, war nur noch ein Schemen oder war gar nicht
mehr. Sie ließ ihre Uhr auf der Stube, zur Abwechslung.
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