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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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bucklig erhob.
Nach hinten wurde der Drache etwas diffus, der Schwanz schlängelte sich ewig
dahin. Ein Nebenhügel sah aus wie ein angewinkeltes Bein, man konnte sich das
jedenfalls einbilden. Er sah freundlich aus, dachte Esther, eher Urmel aus dem
Eis als Lindwurm. Sie wusch sich den Staub mit Mineralwasser aus dem Gesicht,
aber er blieb kleben, und sie wusch und wusch und wusste, dass die
Infanteristen sie mit spöttischen Blicken bedachten. Sie gab auf, ihr Gesicht
blieb ein bisschen streifig.
    Esther
nahm ihr Gewehr aus der Halterung und ging mit Tauber in das Schulgebäude, sie
stiegen eine Treppe hinauf, Tauber klopfte, und sie traten in das Zimmer des
Schuldirektors. Er saß hinter seinem Schreibtisch und schrieb noch etwas zu
Ende, bevor er aufblickte. Für Esthers Geschmack ließ er sie eine Spur zu
lange warten, knapp vor der Unhöflichkeit, aber dann lächelte er Tauber mit
einer Freude an, die nicht gespielt war, dachte sie. Für Esther hatte er nur
ein kurzes Nicken übrig. Ein Ventilator stand zitternd und surrend neben ihm.
«Where is our friend?», fragte er.
    Sie war
enttäuscht. Er sprach Englisch. Was war dann ihre Rolle?
    «He
is sick, he went home», sagte Tauber.
    Nun sah
sie ein Fragezeichen in den Augen des Schuldirektors. Sie trat einen Schritt
vor und sagte auf Russisch: «Er ist krank und nach Deutschland zurückgegangen,
ich ersetze ihn.»
    Der
Schuldirektor wandte ihr den Blick zu, übertrieben langsam, fand Esther.
    «Sie
sprechen Russisch?»
    «Ich bin
in der DDR aufgewachsen, in der ehemaligen DDR.»
    Sie wusste
nie, wie man das richtig sagt. Als sie ein Kind war, war das fraglos die DDR
gewesen, nicht die ehemalige DDR. Andererseits war die DDR aus heutiger Sicht
ehemalig, und alle sagten es immer so, weshalb sie dachte, dass es eine
politische Botschaft ist, wenn man nicht «ehemalig» sagt, Ostalgie, vielleicht
sogar eine angedeutete Sympathie für die Parteidiktatur. Gleichwohl hatte sie
das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Sie spürte ihren Puls.
    «Und ich
im ehemaligen russisch besetzten Afghanistan.»
    War das
Ironie? Sie wurde rot, sie fühlte das verdammte Rot in ihrem Gesicht. Rot mit
Streifen, wie sah das aus? Fürchterlich bestimmt.

«Also sind
wir beide Leute mit einem Leben im Ehemaligen», sagte er. Ein freundliches
Lächeln, Erleichterung.
    «Aber das
sind schließlich alle Menschen, oder?», setzte er hinzu.
    Sie war
wieder verunsichert. Sollte sie das beantworten?
    «Ich denke
schon», erwiderte sie.
    Stimmte
das? Sie konnte das so schnell nicht sagen. Schweigen.
    Er war
Ende dreißig, schätzte sie. Er hatte volles Haar, schwarz, mittellang, ein
sauber gestutzter Bart rahmte sein Gesicht, das die Form eines Dreiecks hatte,
breite Stirn, spitzes Kinn, eine lange Nase, aber nicht nach vorne lang,
sondern ein langer Strich im Gesicht. Die Augen hatten etwas Asiatisches, eine
angedeutete Schmalheit, als habe es vor Generationen einen Chinesen in der
Familie gegeben, dachte sie. Das alles war schön proportioniert, ein Gesicht
mit stolzen Zügen. Esther glaubte, auch eine kleine Versehrtheit sehen zu
können. Sie machte noch einen Schritt vor und nannte ihren Namen. Ihr rechter
Arm zuckte schon, um ihm die Hand zu reichen, doch dann merkte sie, dass der
Schuldirektor sie nicht mehr ansah. Beim Vorbereitungslehrgang hatte man ihr
gesagt, dass nicht alle afghanischen Männer es schätzen würden, einer Frau die
Hand zu geben. Er murmelte einen langen Namen, von dem sie nur Mehsud
verstand. Dabei schaute er in die Papiere auf seinem Schreibtisch.
    «Was soll
ich ihn jetzt fragen?», wandte sie sich an Tauber.
    «Ob alle
Schüler gekommen sind, könnten Sie fragen.»
    «Sind
heute alle Schüler gekommen?»
    «Ein Junge
ist krank.»
    Ihr war
unbehaglich. Im Zimmer des Schuldirektors gab es zwei Stühle, einen, auf dem er
selbst saß, und einen, der vor seinem Schreibtisch stand. Sie sah, dass er
einen Tee vorbereitet hatte, mit zwei Tassen. Immerhin war er nicht so
unhöflich, nur sich einzuschenken. Tauber war ans Fenster gegangen und schaute
hinaus.
    «Was hat
der Junge?», fragte sie.
    «Fieber.»
    «Können
wir etwas für ihn tun?»
    Er
schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen.
    «Können
wir sonst irgendetwas tun?»
    Noch ein
Kopfschütteln. Sie schaute zu Tauber, aber der hatte ihr den Rücken zugekehrt.
    «Er sagt,
dass wir nichts für ihn tun können.»
    «Fragen
Sie ihn irgendwas, wir können nicht so früh zurückfahren.»
    «Warum
nicht?»
    «Weil dann
alle

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