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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Arbeiten in der
Stille, man sagte nicht viel, die Computer brummten. Dann doch eine Stimme:
«Esther», sagte der Soldat, der neben ihr arbeitete, und wischte sich Schweiß
von der Stirn.
    «Ja?»
    «Wenn
Robben robben, robben Robben Robben hinterher.»
    Sie dachte
den ganzen Tag nach und auch in der Nacht, sie konnte nicht schlafen, und am
nächsten Morgen sagte sie zu ihm: «Wenn Fliegen fliegen, fliegen Fliegen
Fliegen hinterher.»
    Er nickte.
Sie ging aufs Klo und weinte.
    In einer
ihrer greisenhaften Stunden hörte sie zwei Soldaten darüber reden, dass ein
Hauptmann einen Herzanfall gehabt hatte. Nun fehlte jemand, der Russisch
sprach. Sie sprach Russisch. Als es noch die DDR gab, hatte sie es in der
Schule gelernt und war dabei geblieben, weil sie diese Sprache mochte. Sie war
nicht mehr geübt, aber es würde schon reichen. Sie meldete sich und erfuhr,
dass es darum ging, zweimal in der Woche eine Patrouillenfahrt zu einer Schule
in den Bergen mitzumachen. Amerikaner hatten sie gebaut, und die Bundeswehr
sollte nach dem Rechten schauen. Es war eine Region, in der nicht jeder gerne
sah, dass Mädchen die Schule besuchten. Der Schulleiter sprach Russisch.
    Esther
bekam den Job. Freude, was für eine Freude.
    Zwei Tage,
die herausgeschnitten waren aus der Agonie und die aus den anderen fünf Tagen
Zwischenzeiten machen würden, Tage mit einem nahen Ziel. Der träge,
gleichförmige Strom der Zeit war gebrochen. Die Mauern würden nicht mehr
Gefängnismauern sein. Sie machte einen kleinen Tanzschritt, als sie im Bad war.
     
    Am Morgen
brachen sie auf, zwei Geländewagen vom Typ Wolf, im hinteren saßen zwei Infanteristen,
im vorderen saß Esther mit Hauptfeldwebel Tauber, er am Steuer, sie daneben.
Blauer, klarer Himmel, seitdem sie hier war, hatte es noch nicht geregnet. Sie
fuhren durch Kunduz, eine für Esther überraschend grüne Stadt, Palmen,
Akazien. Leider sprach Tauber die ganze Zeit und störte Esther in ihrem
Staunen. Der Basar, die Frauen in den Burkas, aber sie hörte Geschichten aus
Bremen, wo Tauber herkam, und sie fühlte sich zu der Höflichkeit verpflichtet,
ihn hin und wieder anzusehen, während er erzählte. Er sprach nordisch breit,
war über zwei Meter groß und blond und trug das Haar etwas zu lang für einen
Soldaten. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig, obwohl sie ihn gar nicht schätzen
wollte. Ihre Sinne drängte es hinaus in diese Stadt, die sie sehen, hören,
spüren wollte. Sie fühlte aufgeregtes Fremdsein, aber Tauber war schon bei
seiner Jahreskarte für Werder Bremen, die nun ein Freund nutzen konnte. Sie war
verzweifelt und wollte ihm ein «Schnauze!» ins Gesicht bellen, aber das machte
sie nicht, obwohl sie Leutnant war und er nur Hauptfeldwebel. Sie beruhigte
sich damit, dass sie noch Dutzende Male durch diese Stadt fahren würde, und
irgendwann müsste doch alles über Werder Bremen gesagt sein. Sie fuhren aus der
Stadt heraus, über eine Brücke und dann eine Weile über eine asphaltierte
Straße den Fluss entlang. Rechts und links waren grüne Felder, durchzogen von
Bewässerungskanälen. Nach zwanzig Minuten bogen sie nach rechts ab und folgten
einer Geröllpiste, die in die Berge führte. Sie lagen gelbbraun vor ihnen,
schroff, faltig. Die höchsten Gipfel, weit weg, waren mit Schnee bedeckt, oben
vollständig, weiter unten zogen sich weiße Bahnen den Berg hinunter, wie Finger,
als läge eine weiße Hand auf dem Gipfel. Sie hielten die Fenster geschlossen,
aber nach einer halben Stunde war der Staub da, wirbelte als Nebel durch den
Wagen, schminkte die Haut und füllte die Ohren. Tauber redete nicht mehr, es
war zu anstrengend geworden, der Motor dröhnte in niedrigen Gängen, während der
Wolf über die Geröllpiste schaukelte. Manchmal tauchte er in Schlaglöcher, in
denen ein Pferd hätte schlafen können, und laut heulend kroch er wieder hinaus.
Esther drehte sich um und sah den Geländewagen, der hinter ihnen fuhr, in die
Kuhle sinken. Er war gelb verschleiert vom Staub.
    Männer
hockten in ihren Äckern, ein Junge übte scharfe Wendungen auf einem Esel.
Esther winkte. Das hatte man ihr eingeschärft bei der Vorbereitung, immer
freundlich sein, immer winken. Niemand winkte zurück. Auf einem kleinen Feld
strafften sich Fähnchen in vielen Farben an langen Stecken im Wind.
    «Was ist
das?», rief Esther.
    «Gräber.»
    Nach
anderthalb Stunden fuhren sie durch ein Dorf, das in der Hitze brütete. In den
Holzverschlägen entlang der Straße saßen Männer, die Brot,

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