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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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wollen, weil ihn das an das Tanzen mit seiner Frau, nein,
mit der anderen erinnerte. Suchte er das in Esther, das Westliche, das diese
andere offenkundig hatte? Es war wohl so. Aber sie konnte sich zu dem Punkt
hindenken, dass sie das nicht schlimm fand, sondern ganz schön eigentlich. Denn
das hieß doch, dass er mehr von ihr wollte als ein hübsches Gesicht, einen
guten Hintern und ganz anständige Brüste. Er wollte das auch, hoffentlich, und
konnte es ja auch bekommen von ihr, aber er wollte mehr, eine Welt, die moderne
Welt. Sie, Esther, war eine ganze Welt für ihn. Was war daran schlecht? Im
Gegenteil, es war ein Beleg dafür, dass es um etwas wirklich Großes ging. Sie
wollte und konnte diese Welt sein, sie war bereit, ihm diese Welt in
Afghanistan zu bescheren, als Enklave gewissermaßen. Sie erschrak. Wollte sie
hier mit ihm leben? Für ein paar Monate, für ein, zwei Jahre würde es schon
gehen. Und dann Berlin. Eine Wohnung in Schöneberg, sie als seine Führerin
durch die Stadt, durch ein neues Leben, und Glück, großes Glück.
    Aber es
gab keine Entwicklung. Sie fuhr zur Schule, sie redeten verliebt, nein,
liebend, küssten sich. Mehr passierte nicht. Sie standen sich immer ein wenig
steif gegenüber, seine rechte Hand lag zwischen ihren Schulterblättern, als
wolle er mit ihr tanzen, die linke lag oberhalb ihres Pos. Und hätte von dort
ruhig mal nach unten rutschen können, so wie sie das von der Tanzschule
kannte. Mehsuds Hand rutschte nicht. Er war erregt, keine Frage, machte aber
nichts daraus. Kein Vorschlag, mal in den Keller zu verschwinden. Vielleicht
gab es keinen Keller, aber auch keinen Vorschlag, dass sie zu ihm nach Hause
gehen sollten, nicht einmal ein Klagen darüber, dass dies unmöglich sei
angesichts der Umstände. Mehsud schien zufrieden. Und Esther wurde allmählich
unglücklich. Erst war es aufregend gewesen, Mehsud in der Schule zu küssen, die
Einmaligkeit der Situation, die Gefahr, entdeckt zu werden. Doch mit der
Wiederholung wuchs die Sorge. Manchmal sah sie beim Küssen mit einem Auge zur
Tür, weil sie etwas gehört zu haben meinte, und einmal traf sie dabei auf
Mehsuds Blick, der ebenfalls zur Tür wanderte, und das war ein schlimmer
Moment, weil sie da wusste, dass sie nicht ganz beieinander waren, dass es
keine Innigkeit gab, kein Ineinanderfließen beim Kuss, weil es das nur
ungestört geben konnte. Und sie waren eigentlich immer gestört, denn auch wenn
sie nicht zur Tür sah, dachte sie an die Tür, dass sie plötzlich aufsprang und
Tauber im Raum stand oder, noch schlimmer, einer der Infanteristen. Mit der
Zeit kam ihr die Situation unwürdig vor, schäbig auch. Die Größe ihres Gefühls
fand sich in diesen behinderten Küssen nicht wieder. War das nicht
Schulhofwinkelknutscherei? Dieses Wort war ihr dann doch zu böse, und ohnehin:
wovor eigentlich Angst haben? Alle Bedenken gegen die Liebe zu Mehsud kamen
aus dem Leben, das sie jetzt hatte, dem Bundeswehrleben, wenn sie es mal
zuspitzte. Würde dieses Leben verschwinden, weil man sie mit Mehsud erwischte,
dann verschwänden auch die Bedenken, logisch. Sie küsste wieder freier, nahezu
unbeschwert. Was blieb, war die Frage, wann er mal seine Hände bewegen würde.
Sie redeten jetzt beide darüber, wie schön, wie wundervoll es wäre, gäbe es
einen Ort für sie, eine Insel der Ungestörtheit. Nur einmal. Nur für ein paar
Stunden. Sie hielten diesen Traum klein, als würde das die Chance verbessern,
dass er wahr würde. Dabei hatte Esther längst Worte wie Ewigkeit, Endlosigkeit
im Kopf, unpassende Worte angesichts der Lage, klar, aber dafür waren sie auch
nicht so gefährlich wie sonst. Sie hatte Liebe immer zu schnell in ein ganzes
Leben umgesetzt, hier konnte ihr das nicht so leicht passieren. Aber war es
denn vollkommen unmöglich, dass er sie einmal zu sich nach Hause einlud? Sie
würde es möglich machen, würde diese Stunden aus ihrem Leben herausschneiden,
irgendwie, dachte sie, während sie ihn im Wind des Ventilators küsste. Er
setzte sich jetzt manchmal zu ihr.
    Sie fing
an, ihm von Berlin zu erzählen. Sie schilderte die Stadt als eine, in der man
gut leben konnte. Denn am Ende würden sie dort landen, das war klar. Sie konnte
sich nicht vorstellen, dass ihn etwas in Afghanistan hielt. Vielleicht die
Hoffnung, dass ihn seine Frau hier finden würde. Aber sie konnte ihn ja auch in
Berlin finden, wenn er eine Adresse zurückließ, was ihr so recht dann auch
nicht sein würde. Freundschaft, ja,

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