Kurbjuweit, Dirk
Freundschaft würde es geben können
zwischen den beiden. In diesen Gedanken verstrickt, hörte sie ihn sagen, dass
es in der nächsten Woche einen schulfreien Montag geben würde. Sie brauche dann
nicht zu kommen, leider, sagte er.
«Natürlich
werde ich kommen», sagte Esther. Sie musste sich dämpfen, damit sie nicht so
elektrisch wirkte, wie sie empfand. «Wir haben dann die Schule für uns, keine
Kinder, keine Lehrer, kein Hausmeister.»
«Aber die
anderen Deutschen.»
Denen
würde sie nichts sagen, die sollten denken, dass es ein normaler Schultag sei,
denen würde sie einen Film besorgen, von dem sie nicht loskämen. Mehsud stimmte
zu, aber sie sah seine Sorge und damit in Wahrheit auch ihre. Wieder schlich
sich die Angst ein, entdeckt zu werden. Bei einem Kuss konnte man sich schnell
lösen, es gab eine Chance, sich in letzter Sekunde zu retten, wenn einer zur
Tür hereinkam. Nicht beim Liebesspiel, nicht nackt. Dann wäre es klar. Aber das
wollte sie ja auch in Wahrheit, es wäre eine Entscheidung. Sie sehnte sich so
nach Nacktheit mit Mehsud.
Esther
ging in den Marketenderladen im Lager. Dort Kondome zu kaufen, war ungefähr
so, als würde man in einem Dorfkonsum Kondome kaufen. Jeder würde wissen, was
sie vorhatte. Sie drückte sich zwischen den Regalen herum, bis der Laden leer
war, dann schlenderte sie zu dem Regal, in dem die Kondome lagen, und nahm dort
als Erstes wahr, dass es welche mit Flecktarnmuster gab, sehr witzig. Sie griff
hastig nach einer Packung mit einem Markennamen, der ihr vertraut vorkam, und
ging damit zur Kasse. Selten war sie jemandem so dankbar gewesen wie dem
Hauptgefreiten, denn der nahm ihr Geld mit professionell ausdruckslosem Gesicht
entgegen. Auf ihrer Stube sah sie, dass sie XXL erwischt hatte. Verzweiflung.
Sie malte sich das Desaster aus, wenn das nicht Mehsuds Größe sein sollte. Da
würden sofort kulturanatomische Fragen im Raum stehen, die eigentlich leicht
zu klären wären, aber er würde sich gedemütigt fühlen, keine Frage. Sie warf
die Kondome weg. Dann eben ohne, denn auf keinen Fall würde sie noch einmal im
Marketenderladen welche kaufen. Schließlich tat sie das, was sie von
vornherein hätte tun sollen. Sie vertraute sich Ina an, und die hatte natürlich
einen kleinen Vorrat. Sollte sie drei nehmen? Zwei? Eins? Zwei.
Am letzten
Schultag vor der geplanten Begegnung sagte Mehsud zum Abschied: «Ich werde da
sein. Aber wenn du es dir anders überlegst, ist es in Ordnung. Ich habe es
nicht weit.»
«Das wäre
in Ordnung?»
«Ich
meine, du hast diese Möglichkeit.»
«Ich will
diese Möglichkeit nicht.»
«Nur für
den Fall.»
«Soll ich
nicht kommen?»
«Doch.»
«Vielleicht
hast du recht, und ich komme besser nicht.»
«Vielleicht,
ja.» Sie schwiegen.
«Wir reden
es kaputt», sagte sie. «Wir könnten damit aufhören.»
«Womit?»
«Mit dem
Reden.»
«Jetzt
fährst du ja sowieso.»
«Ich werde
kommen.»
«Ich warte
auf dich.» Ein letzter Kuss, dann fuhr sie.
An dem
Tag, an dem die Schule frei hatte, waren es morgens vierunddreißig Grad.
Hochnebel verschleierte die Berge, das Thermometer würde auf vierzig Grad klettern,
das war klar. Als sie mit den Wölfen aufbrachen, dachte Esther an Steinigung.
Sie wusste, dass Ehebrecher in entlegenen Dörfern immer noch gesteinigt wurden.
Sie wusste nicht, ob Mehsud als verheiratet galt. Wahrscheinlich hatte er die
Ehe nicht auflösen lassen. Aber konnte man das, was sie in einer Stunde mit
Mehsud tun würde, Ehebruch nennen, wenn es diese Ehe praktisch nicht mehr gab,
weil die Frau tot war oder mit einem anderen zusammenlebte? Was galt in diesem
Land? Sie sah sich an einen Pfahl gebunden, Steine flogen. Oder buddelten die
einen zur Hälfte ein, bevor sie warfen? Sie hatte keine Ahnung. Auf jeden Fall
würde es ein qualvoller Tod sein. Dann lieber jetzt ein IED, Sekundentod, wenn
die Aufständischen keine Stümper waren und ordeutlich Sprengstoff in den
Kanister oder Kochtopf packten. Nein, lieber auf der Rückfahrt ein IED, nach
der Erfüllung. Glitzerte da etwas? Nein. Oder doch, die Luft glitzerte, das
war der Staub, der von der Sonne angestrahlt wurde. Wobei das mit der
Rückfahrt nur galt, wenn die Dorfbewohner sie bei ihrer dann folgenden Ankunft
festnehmen würden, weil sie inzwischen von dem Ehebruch erfahren hatten. Sonst
wollte sie ja leben, unbedingt, mehr denn je, wenn man das so sagen konnte.
Also: IED auf der Rückfahrt für den Fall, dass der Ehebruch nachträglich
entdeckt
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