Kurpfalzblues
sie zugelaufen. Eilig huschte er an ihr vorbei. Eine Katze, die
sie aufgescheucht hatten und die vor den Eindringlingen ins Freie floh.
Die Küchentür war angelehnt. Vorsichtig drückte Maria sie auf. Es
war niemand da. Der trostlose Anblick hatte sich nicht geändert. Nur dass jetzt
auf dem Küchentisch eine leere Flasche Schnaps zu sehen war.
Mengert stand hinter Maria in der Tür und spähte in den Raum. »Der
hat sich bestimmt die Hucke vollgesoffen und liegt im Bett.«
Es war wie ein Drang. Eine innere Stimme, die Maria sagte, dass sie
nachschauen musste, jetzt sofort.
Sie musste wissen, ob die Axt noch da war.
»Ich geh mal in die Scheune. Sieh du dich hier um, ich bin gleich
wieder da.«
Sie zwängte sich an Mengert vorbei und ging raus auf den Hof, zu dem
Tor in der dunklen Holzwand.
Als sie in das Dämmerlicht der Scheune trat, wusste sie, dass etwas
nicht stimmte. Sie konnte es förmlich spüren.
Vor ihr schimmerte das helle Holz des Schaftes. Die Axt lag auf dem
Boden.
Was fehlte, war etwas anderes.
Die Visitenkarte
Der Balken zog sich durch den hinteren Teil der Scheune, in
einer Höhe, dass selbst ein so großer Mann wie Rinkner ihn nicht mehr ohne
Weiteres erreichen konnte.
Darunter stand, was Maria vermisst hatte: der Holzklotz, auf dem
Kurt Rinkner vor einer knappen Stunde die Axt abgelegt hatte.
Er war nicht sehr hoch, vielleicht nur einen halben Meter, aber doch
hoch genug. Rinkner hatte, darauf stehend, ein Seil um den Balken legen können.
Am Ende des Seils war eine Schlinge, gerade so groß, dass sein mächtiger
Schädel hindurchpasste.
Der Strick pendelte hin und her, kaum wahrnehmbar.
Rinkner selbst lag auf dem Boden neben dem Holzklotz. Unverletzt,
wie Maria schien, aber er regte sich nicht.
»Herr Rinkner!«
Sie beugte sich über ihn. Er schlug die Augen auf, blickte einen
kurzen Moment verwirrt an ihr vorbei. Dann versuchte er, sich aufzurichten,
sackte aber gleich wieder zusammen.
Er sagte etwas, so verwaschen, dass Maria es nicht verstand.
Sie beugte sich tiefer zu ihm hinunter. Mit einer Schnelligkeit, mit
der sie nicht gerechnet hatte, hob der Riese seine Pranke, packte sie an der
Jacke und zog sie zu sich.
»Kaker…laken.« Er stierte sie mit glasigem Blick an und hauchte ihr
seinen Alkoholdunst ins Gesicht. »Überall Kakerlaken. Aus allen Löchern …«
Langsam löste sich seine Hand wieder. Sein Kopf sank auf den Boden,
er schien wegzudämmern.
Eine fremde Stimme ließ Maria erschrocken herumfahren.
»Ist es mal wieder so weit.«
Hinter ihr stand eine kleine grauhaarige Frau mit einem Eierkarton
in der Hand. Sie schüttelte missbilligend den Kopf.
Mengert rief den Krankenwagen. Während sie warteten, versuchte Maria
mit der älteren Dame ins Gespräch zu kommen.
Elisabeth Bechmann wohnte in derselben Straße, drei Häuser weiter.
Frau Bechmann redete allerdings nicht gern über die Nachbarschaft.
»Ich bring ihm einmal die Woche Eier. Zehn Stück kriegt er«,
erklärte sie Maria auf die Frage, was sie denn über Herrn Rinkner wisse.
»Unsere Hühner legen so viele, die kriegen mein Mann und ich allein gar nicht
gegessen. Das liegt am Futter.«
Danach schwieg sie, eingeschüchtert von der Tatsache, dass gleich
zwei Polizeibeamte vor ihr standen.
Erst nachdem Mengert sich interessiert nach dem Hühnerfutter
erkundigt und sich von Frau Bechmann die besondere Bedeutung von Muschelkalk
und Austernschalen bei der Hühnerhaltung hatte erklären lassen, wurde sie
gesprächiger.
Zwanzig Cent das Ei bezahle der Herr Rinkner. Das sei so gut wie
geschenkt. Sie habe ihn schon des Öfteren volltrunken und nicht mehr
ansprechbar vorgefunden. Allerdings noch nie unter einem Strick.
»Der braucht sich auch nicht aufhängen. Wenn der so weitermacht,
säuft der sich sowieso die Leber kaputt. Mein Mann hat gesagt, noch ein, zwei
Jahre, und der ist hinüber.«
Aber eigentlich kenne sie Herrn Rinkner kaum. Der rede ja hier mit
niemandem. Mit seiner Frau, mit der habe sie sich manchmal unterhalten. Aber
die sei schon ein halbes Jahr, nachdem die Rinkners hergezogen waren,
gestorben.
»Schlaganfall. Am Tag vorher habe ich sie noch gesehen. Und dann war
sie tot.«
Eine nette Frau. Immer freundlich und höflich, was die Nachbarin vom
Witwer ganz und gar nicht behaupten könne, vor allem nicht, wenn er getrunken
habe.
»Aber dass der säuft, ist ja auch kein Wunder. Der hockt nur im
Haus. Schaffen geht der auf jeden Fall nicht.«
Die Tochter von Herrn Rinkner habe sie
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