Kurpfalzblues
Klatschmohn, jede Menge Variationen von »Strand
mit Palmen«, goldene Abendsonnen, die in tiefblauem Wasser versanken. Und am
Rand der Bilder überall Leas Unterschrift.
Alsberger kam zu ihr. Er hielt zwei Fotos in der Hand.
»Hier, die standen im Regal.«
Eine Porträtaufnahme von einer älteren Frau mit weißblonden Haaren
und verhärmtem Gesicht, die sich bemühte, freundlich in die Kamera zu lächeln.
Auf dem anderen war dieselbe Frau zu sehen, scheinbar in etwas
jüngeren Jahren. Diesmal stand ein Kind daneben, ein Mädchen, das sich an sie
schmiegte und um das sie liebevoll den Arm gelegt hatte. Man konnte sich gut
vorstellen, dass Lea Rinkner als Kind so ausgesehen hatte.
»Die Frau muss ihre Mutter sein«, erläuterte Alsberger
überflüssigerweise.
Maria drehte das Foto um. Auf der Rückseite stand in großer Schrift:
Für meinen kleinen Spatz, von Mama. Ich hab dich lieb!
Mein kleiner Spatz. Das hatte
sie früher auch oft zu Vera gesagt. Als die noch auf ihrem Schoß sitzen und am
liebsten jeden Abend bei ihr im Bett schlafen wollte. Als sie
drauflosplapperte, sobald sie morgens die Augen aufschlug, und alles, was sie
beschäftigte, unbedingt ihrer Mutter mitteilen musste.
Einer der weiß bekleideten Männer hielt einen roten Stringtanga
hoch, den er aus einer Schublade gezogen hatte.
»Auch nicht schlecht, was?«, rief er dem Kollegen im Flur zu.
»Geh gefälligst respektvoll mit den Sachen einer Toten um«, ranzte
Maria ihn an. »Was meinst du, wenn das die Unterwäsche deiner Tochter wäre,
würdest du sie dann auch hier herumzeigen?«
Der Mann im weißen Schutzanzug warf ihr einen verwunderten Blick zu.
»Auch eine von den Mimosen«, hörte sie ihn leise vor sich hin sagen.
»Was hast du gemeint?«
»Schon gut, schon gut.«
Maria ging lieber in die Küche. Noch eine blöde Bemerkung von diesem
Menschen und sie würden aneinandergeraten.
An einem Pinnbrett neben der Tür hing eine Reihe Zettel. Eine
Anmeldung für einen Englischkurs bei der Volkshochschule. Gutscheine vom
Kaufhof, die zehn Prozent Ermäßigung versprachen. Und jede Menge Postkarten.
Maria nahm sie ab.
Ein mysteriöser F. schickte Urlaubsgrüße aus Mallorca. Das war
allerdings schon zwei Jahre her. Jana gratulierte zum Geburtstag und wünschte
alles Liebe. Und irgendeine Cloe schien eine Vorliebe für kluge Sprüche zu
haben. Auf jeden Fall hatte sie Lea gleich mit mehreren davon bedacht.
Wenn du willst, kannst du alles, stand auf der einen Postkarte mit ihrer Unterschrift. Schau zurück
und du bleibst stehen, sieh nach vorn und du wirst gehen, auf der anderen. Von der Sorte gab es noch drei
weitere.
»Die anderen gefallen mir ja ganz gut«, sagte Alsberger. »Aber das.
So was würde ich mir nicht gerne beim Frühstück ansehen.«
Er zeigte auf das Bild, das über dem kleinen Küchentisch hing.
Es war eine Bleistiftzeichnung, grau in grau. Tannen, ein Wald, mehr
skizziert als ausgemalt, eine Hütte, daneben ein Mann, dessen Gesicht kaum zu
erkennen war. In der Hütte sah man ein vergittertes Fenster, dahinter ein
Mädchen mit Zöpfen. Ihr Mund war mit einem dicken Strich schwarz übermalt, als
sei er mit einem Pflaster zugeklebt.
Lea hatte es geschafft, so viel Angst in den Gesichtsausdruck des
Kindes zu legen, dass man fast Mitleid mit ihm bekam.
Alsberger beugte sich vor.
»Scheint schon älter zu sein. Das Papier ist ein bisschen vergilbt.«
Maria hatte etwas entdeckt, was sie viel mehr interessierte.
An der Küchenwand hing ein Kalender, einer von der Sorte, wie sie
oft zum Jahreswechsel den Zeitungen beilagen. An bestimmten Daten waren Namen
eingetragen, wahrscheinlich Geburtstage von Freunden und Bekannten.
Dann in einer Spalte im August ein Spruch: Träume werden wahr –
Corti macht’s möglich . Dahinter ein Smiley.
Bei anderen Daten standen kleine Ziffern: 1Ü, 1/2Ü, 1F … Unsystematisch waren
sie über das Blatt verteilt.
Maria löste die Heftzwecken und nahm den Kalender vorsichtig von der
Wand, um ihn genauer anzusehen.
»Haben Sie eine Idee, was das bedeuten soll, Alsberger?«
Er beäugte neugierig die Eintragungen.
»Ich schätze mal, das hat mit ihrer Arbeit zu tun. ›1Ü‹ heißt
vielleicht eine Überstunde. Und ›F‹ könnte die Freistunde sein.«
Alsberger tippte auf den Eintrag im August.
»Was ist denn ›Corti‹? Träume werden wahr – Corti macht’s
möglich. Hört sich irgendwie nach Reklame
an.«
Maria sah auf den Finger, mit dem er auf den Kalender tippte. Sie
kniff
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