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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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möglich zu sammeln. Gerne hätte sie mehr über die Krankheit des Mannes erfahren, der von seiner Ehefrau nach Sylt gebracht worden war, um durch Luftveränderung und Reizklima gesund zu werden. Beinahe wäre sie auch der Versuchung erlegen, einem jungen Mädchen den Mann auszureden, der mit der Zeitung auf dem Sofa lag und sie ermahnte, zügig die Unterschrift auf die Liste zu setzen, damit der Kaffee bald fertig wurde. Aber selbst als sie kurz darauf einem Mann gegenüberstand, der in ihrem Dorf sofort als Mafioso erkannt worden wäre, gelang es ihr, sich zurückzuhalten, keine Fangfragen zu stellen, die ihn entlarven konnten, und sich nach Erhalt der Unterschrift freundlich zu verabschieden.
    Mamma Carlotta hielt sich von nun an auf der Dünenstraße, obwohl der Wind mehrmals den Versuch unternahm, sie vom Fahrrad zu pusten. Zweimal musste sie absteigen und das Rad schieben, weil es keinerlei Schutz vor dem Wind gab. Und einmal hatte sie sich die Zeit genommen, stehen zu bleiben und den Blick aufs Meer zu genießen. Trotz des Sturms war es ein heller Tag, das Meer war von einem schönen Grau, und mit weißen Schaumkronen geschmückt. Sogar die Möwen kamen ihr besonders hell vor. Zwar schien die Sonne nicht, aber das Licht, das aus den Wolken kam, ließ ihr Gefieder leuchten.
    Bei der Baustelle zum neuen Gosch am Kliff kam sie auf die Idee, auch die Bauarbeiter um ihre Unterschrift zu bitten. Einige waren zwar der deutschen Sprache nicht mächtig und verstanden von ihrem Anliegen überhaupt nichts, aber da der Polier ein Sylter war, dem erstens das Engagement von »Verraten und verkauft« gefiel und der zweitens einen Schwiegersohn hatte, der in Umbrien eine florierende Terrakottawerkstatt betrieb, ordnete er die Unterschriften kurzerhand an. Um sicherzugehen, dass diese auch gewertet wurden, beschloss Mamma Carlotta, die Adressen zu fälschen, denn die Arbeiter wohnten auf dem Festland in kleinen Containerdörfern. Eine waschechte Italienerin sprach in einem solchen Fall aber natürlich nicht von Fälschung, sondern von zweckdienlicher Korrektur, und die focht auch den Polier nicht an. Da sie nun auf einen Schlag über zwanzig Unterschriften erhalten hatte, konnte sie mit dem Polier sogar eine Weile darüber rätseln, ob sie dessen Schwiegersohn schon einmal begegnet war, und ihm versprechen, demnächst in seiner Werkstatt einen Blumentopf für ihre Tante zu kaufen, die kurz vor Weihnachten achtzig wurde. Dass es sich dabei um ein leeres Versprechen handelte, wussten sowohl der Polier als auch Mamma Carlotta, aber da es aus Freundlichkeit entstanden war, dachten sich beide nichts dabei. Mamma Carlotta war sehr zufrieden, dass es auch Sylter gab, die ihre strikte Einstellung zu Lüge und Wahrheit nicht so unnachgiebig vertraten wie Erik.
    Dann fiel ihr ein, dass das Fälschen der Adressen noch eine Weile in Anspruch nehmen würde. Also verabschiedete sie sich hastig von dem Polier und fuhr weiter. Doch schon am Minigolfplatz wurde ihr klar, dass sie einen warmen, windgeschützten Ort brauchte und außerdem einen Ortskundigen, der ihr bei der Auswahl der Adressen helfen konnte. Sie kannte nur einen, der dafür infrage kam: Tove Griess! Aber ob der ihr helfen würde, wenn er erfuhr,
dass es um das Gesundheitshaus ging? Versuchen musste
sie es.
    Keine fünf Minuten später hatte sie die nächste Abfuhr von Tove erhalten. »Suchen Sie sich Ihre Adressen selber raus! Ich helfe Ihnen nicht bei diesen Unterschriftenlisten!«
    Mamma Carlotta wandte sich an Fietje Tiensch. »Sie auch nicht?«
    Fietje schob seine Bommelmütze einmal nach hinten, dann nach vorn, anschließend wusste er, dass ihm sein tägliches Jever in Käptens Kajüte wichtiger war und er sich auf Toves Seite schlagen musste. »Im Grunde kenne ich die Straßen hier auch gar nicht so genau …«
    Mamma Carlotta beschloss, mit Hochmut darüber hinwegzugehen. »Dann nehme ich mir eben das Telefonbuch vor. Oder einen Stadtplan.« Mit einer Grandezza, die sie einmal bei Sophia Loren in einem ihrer ältesten Filme bewundert hatte, stemmte sie einen Ellbogen auf die Theke und sagte mit einer großen Geste ihrer rechten Hand: »Einen Cappuccino nehme ich trotzdem!« Und als Tove sich wortlos an dem Kaffeeautomaten zu schaffen machte, riskierte sie sogar eine Beanstandung: »Was sind das für Schuhe, da draußen vor Ihrer Tür?«
    »Meine alten Turnschuhe«, knurrte Tove. »Die müssen mal auslüften.«
    »Direkt vor dem Eingang von Käptens Kajüte? Was sollen

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