Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Carlotta sah ihn ungläubig an. Fietje sollte Käptens Kajüte weiterführen? Mit dem Bierzapfen würde er zweifellos zurechtkommen, aber mit den Bratwürsten und den Pommes frites? »Das schaffen Sie nie!«
Fietje sah beleidigt aus. »Warum nicht? Ich schau mir seit Jahren an, was Tove macht.«
»Ecco, dann … servieren Sie mir bitte einen Cappuccino!«
Sie beobachtete, wie Fietje den Kaffeeautomaten ausgiebig in Augenschein nahm, sich schließlich für einen der vielen Hebel entschied und erschrocken zurückwich, als aus einem Ventil heißer Dampf austrat.
Mamma Carlotta hatte nichts anderes erwartet. »Das müssen Sie noch üben. Und wenn das Abendgeschäft beginnt, müssen Sie wissen, wie der Grill funktioniert und die Pommes frittiert werden.«
Fietje trank deprimiert sein Bier aus. »Eigentlich habe ich auch gar keine Zeit. Mein Dienst im Strandwärterhäuschen beginnt in einer halben Stunde.«
Mamma Carlotta wollte Fietje gerade ins Gewissen reden und ihm erklären, dass er einen Freund nicht im Stich lassen dürfe, dass er sein Versprechen halten müsse … da wurde die Eingangstür aufgerissen, und mit einer jaulenden Windbö drang eine frische Stimme herein: »Moin!«
Mamma Carlotta wusste sofort, wer da gerade so fröhlich hereingeschneit war. Und sie hätte sich gern gefreut, aber da ihr das nicht möglich war, blieb sie einfach mit dem Rücken zur Tür sitzen und tat so, als interessiere sie sich als Gast nicht für andere Gäste. Fietjes flehentlichen Blick, in dem die Angst vor einer Bestellung geschrieben stand, ignorierte sie genauso wie Wiebke Reimers’ Gruß.
Doch dann legte sich eine Hand auf ihre Schulter. »Signora! Ich habe Sie hier reingehen sehen. Da dachte ich, wir könnten einen Kaffee zusammen trinken. Nett, Sie wiederzusehen!«
Diese Freundlichkeit konnte Mamma Carlotta nicht einfach missachten. Im Gegenteil, prompt rührte sich in ihr die Frage, ob sie vielleicht etwas falsch verstanden hatte, als sie Wiebke Reimers durch die Gärten am Dorfteich flüchten sah. Vielleicht gab es ja einen guten Grund, warum sie sich dort herumgetrieben hatte! Womöglich war sie als Reporterin einem Skandal auf der Spur gewesen und nur rein zufällig in die Nähe von Dennis Happes Ferienwohnung geraten. Und dann hatte sie gemerkt, dass dort was im Gange war und vorsichtshalber die Flucht ergriffen, um in die Sache nicht mit hineingezogen zu werden!
Mamma Carlotta drehte sich zu Wiebke um. »Sie haben mitbekommen, dass Tove Griess verhaftet worden ist?«
Wiebke nahm auf einem Hocker neben ihr Platz. »Im Polizeifunk hatte ich gehört, dass hier was los ist. Eine Festnahme!«
Mamma Carlotta sah sie erschrocken an. »Sie hören den Polizeifunk? Ist das erlaubt?«
Wiebke lachte. »Das tun alle Kollegen. Menno Koopmann rast schon in die Redaktion und macht alles für die Sonntagsausgabe klar.«
Fietje trank unterdessen sein Bier aus, spülte das Glas sorgfältig und stellt es zum Abtropfen kopfüber.
»Mein Schwiegersohn irrt sich«, sagte Mamma Carlotta. »Tove Griess ist kein Mörder. Aber wie soll ich Enrico das klarmachen?«
Fietje bewegte sich langsam in Richtung Tür. »Ich bin dann mal weg. Nach Feierabend komme ich zurück.«
Mamma Carlotta und Wiebke Reimers nahmen es nicht zur Kenntnis.
»Er hat es mir beim Gedenken an seine Mutter geschworen«, sagte Mamma Carlotta. »So was tut nicht mal der schlimmste Ganove, wenn er es nicht ernst meint. Aber Enrico hält es wohl für möglich, dass Tove sich an Sila Simoni rächen wollte und sie deswegen umgebracht hat.«
Aufgeregt sprang Wiebke vom Barhocker. »Sila Simoni ist ermordet worden?«
Mamma Carlotta betrachtete sie erstaunt. »Kam das nicht durch den Polizeifunk?«
Wiebke antwortete nicht. »Wann war das?«
»Heute Nacht ist sie ermordet worden. Auf schreckliche Weise!«
In aller Ausführlichkeit berichtete Mamma Carlotta von den Qualen, die Sila Simoni ausgestanden haben musste, von dem Entsetzen, das noch auf ihren Zügen gelegen hatte, von den Anstrengungen, die notwendig gewesen waren, den Besenstiel zu lösen, um die Leiche zu befreien … Währenddessen haftete Wiebkes Blick starr an der gegenüberliegenden Wand. Mamma Carlotta glaubte zu wissen, was ihr durch den Kopf ging. »Sie ärgern sich, dass Sie davon nichts erfahren haben? Dass Sie keine Fotos für Ihre Zeitung schießen konnten?«
Wiebke nickte. »Ja, ja … wäre nicht schlecht gewesen. Fotos von der Leiche oder wenigstens vom Abtransport, Interviews mit den
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