Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Kraft entgegenstemmen. Nach einer kurzen Erholungsphase begann der Kampf von Neuem, als sie in den Hochkamp einbog, und sie war froh, als sie Käptens Kajüte erreichte, wo Fietje schon sehnsüchtig auf sie wartete.
»Endlich, Signora!« Er trocknete die Hände an seiner langen weißen Schürze ab, was er anscheinend schon oft gemacht hatte. Sie sah nicht mehr besonders sauber aus. »Es waren mehrere Frühstücksgäste da! Ich bin fix und fertig. Wissen Sie schon, wann sich Tove hier endlich wieder blicken lässt?«
Er machte Anstalten, die Schürze abzubinden, aber Mamma Carlotta hielt ihn davon ab. »Wollen Sie mich etwa allein lassen?«
Fietje sah ganz so aus, als wollte er bejahen, aber dann zeigte er auf seinen Stammplatz an der Theke und erklärte schüchtern, dass er vor lauter Arbeit noch keine Zeit für sein Frühstücks-Jever gehabt habe. Sollte Mamma Carlotta ihm ein Glas zubilligen, sei er bereit, sie beim Mittagsgeschäft zu unterstützen, falls sich bei dem Wetter überhaupt jemand auf die Straße traute.
Mamma Carlotta war einverstanden und sogar bereit, Fietje sein Bier zu zapfen, was ihr erstaunlich gut gelang. Dann rückte sie damit heraus, was sie von Erik erfahren hatte. »Mein Schwiegersohn will Signor Griess noch nicht freilassen. Er glaubt, dass Tove Sila Simoni umgebracht hat. Im Saunabereich hat er einen Zahnstocher gefunden, den Signor Griess schon mal im Mund hatte. So was lässt sich nämlich heutzutage einwandfrei feststellen«, ergänzte sie fachmännisch, noch ehe Fietje auf die Idee kommen konnte, Eriks Schlussfolgerung infrage zu stellen.
Fietje war erschüttert. »Sie meinen, er hat sie wirklich um die Ecke gebracht?«
»Er hat ein Motiv«, erinnerte Mamma Carlotta mit einem hilflosen Schulterzucken. »Aber vielleicht war es auch ganz anders. Der wahre Täter kann auch versucht haben, Signor Griess den Mord in die Schuhe zu schieben.«
Fietje wurde nachdenklich, und da er ohne Bier keinen Gedanken zu Ende bringen konnte, zapfte Mamma Carlotta ihm unverzüglich das nächste Jever und verzichtete sogar auf die Ermahnung, dass Alkohol um diese Tageszeit ungesund sei. »Und noch was! Mein Schwiegersohn hält Signor Griess auch deshalb für einen Lügner, weil Sie sich geirrt haben. Corinna Matteuer war nicht bei Ludo Thöneßen. Jedenfalls nicht an dem Abend, an dem Sie die beiden beobachtet haben wollen. Da war sie nämlich bei einem Konzert. Wie heißt die Künstlerin noch? Ina Müller oder so ähnlich.«
Fietje winkte entschlossen ab. »Ich habe mich nicht geirrt. Es stimmt, das Ina-Müller-Konzert war an diesem Abend. Es wurde im Fernsehen übertragen. Live! Ludo saß davor und sah sich das Konzert an, als Corinna Matteuer ihn besuchte. Jawoll!«
»Dann hat die Matteuer sich geirrt. Aber das wird Enrico herausfinden.«
Da fiel Mamma Carlotta die Geschichte von dem Küster ihres Dorfes ein, der nur ein paar Wochen seines Amtes nachgegangen war. »Schon bald hatte ihn angeblich jemand beim Diebstahl beobachtet, und er wurde verhaftet. Leider hat man dann seinen Fall vergessen, ich glaube, die Akten waren verschwunden. So hat der arme Nevio zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, bis jemandem auffiel, dass er immer noch auf seine Verhandlung wartete. Beinahe hätte er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbracht, ohne dass er je vor Gericht gestellt worden wäre!«
Zu dem tragischen Tag der Entlassung, an dem der Küster bitterlich weinte, weil er die Geborgenheit des Gefängnisses verlassen musste, kam sie leider nicht mehr. Die Tür öffnete sich, und ein Gast erschien.
»Ich dachte, dass Sie vielleicht Hilfe gebrauchen können.« Lachend sah Wiebke Reimers sich um. »Aber der große Ansturm bleibt wohl aus?«
Mamma Carlotta nickte nur und machte sich an dem Kaffeeautomaten zu schaffen. »Kaffee?«, fragte sie, während sie Wiebke den Rücken zukehrte.
»Milchkaffee«, gab Wiebke fröhlich zurück. So, als wäre in der kurzen Zeit ihrer Gefangenschaft im Vorratsraum etwas zwischen ihnen entstanden, was kein böser Verdacht und keine Lüge kaputtmachen konnten.
Die Zeit, in der sie Wiebkes Milchkaffee zubereitete, nutzte Mamma Carlotta, um die Idee, die in ihr hochgeschossen war, mehrmals zu drehen und zu wenden, auf Tauglichkeit zu überprüfen und schließlich für gut zu befinden.
Sie stellte die Tasse vor Wiebke auf die Theke. »Was ich Sie in dem Vorratsraum noch fragen wollte …«, begann sie. »Aber ich bin dann nicht mehr dazu gekommen, weil Frau Matteuer
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