Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Sie! Ich brauche Ihren Namen und Ihre Adresse. Könnte sein, dass ich noch Fragen an Sie habe.« Dann ließ er seinen Blick über die anderen Umstehenden wandern. »Hat jemand von Ihnen eine Beobachtung gemacht?«
Aber er erntete nur Schweigen. Nein, niemand hatte etwas Außergewöhnliches bemerkt. Drei riefen zu ihm hoch, sie hätten den Sturz der Frau bemerkt, weil ihr Schrei sie aufgeschreckt habe, alle anderen waren erst aufmerksam geworden, als ihr Körper aufschlug.
»Alle, die eine Aussage machen können, warten bitte!« Erik zog seinen Mantel aus und deckte ihn über die Tote.
Mamma Carlotta erschrak. »Enrico! Du wirst dir eine Lungenentzündung holen!«
Erik fuhr herum und starrte seine Schwiegermutter an. »Was machst du hier? Wieso bist du nicht mehr beim Konzert?«
Sie funkelte ihn an. »Ich soll mir un concerto anhören, während hier so was Schreckliches passiert?« Kopfschüttelnd betrachtete sie die Tote, deren Körper zur Hälfte von Eriks Mantel verdeckt wurde. »Madonna! Hat sie sich selbst umgebracht?«
Erik winkte sie ärgerlich zur Seite, dann holte er sein Handy hervor und alarmierte die Kollegen.
Mamma Carlotta wartete genau so lange, bis er das Handy weggesteckt hatte, dann flüsterte sie: »Ich kenne die Frau.«
Erik starrte sie ungläubig an. »Willst du damit sagen … du weißt, wie sie heißt?« Er drehte sich zu der Toten um, deren Gesicht durch seinen Mantel verdeckt war. »Bist du sicher?«
»Ich habe ihr Gesicht gesehen, ehe du sie zugedeckt hast.«
Erik schob seine Schwiegermutter zur Leiter und machte ihr klar, dass er das Gespräch woanders fortführen wollte. Nicht auf dem Dach, wo jeder sie sehen und beobachten konnte, die Musiker, die Zuhörer des Kurkonzertes, die Spaziergänger auf der Kurpromenade. Auf dem Dach des Luzifer präsentierten sie sich wie auf einer Bühne.
»Vorsicht«, warnte Erik, als Mamma Carlotta den ersten Fuß auf die Leiter setzte.
Aber sie griff energisch nach den beiden oberen Enden der Leiter. »Ich bin das gewohnt. Was meinst du, wie ich in Panidomino in den Kirschbaum komme?«
Tatsächlich stand sie im Nu am Fuß der Leiter. Als auch Erik unten angekommen war, zog er sie in eine Ecke, weit genug von den Umstehenden weg, um nicht belauscht zu werden. »Und? Wer ist es?«
»Entweder die Matteuer oder ihre Zwillingsschwester.«
»Du meinst … die Inhaberin von Matteuer-Immobilien? Die hat eine Zwillingsschwester? Woher weißt du das?«
Mamma Carlotta sah ihren Schwiegersohn erschrocken an. »Habe ich gehört«, begann sie zu stottern. »Irgendwo … Vielleicht bei Feinkost Meyer?«
»Genau!«, drang da eine forsche Stimme in ihr Gespräch ein. »Ich habe sie Ihnen gezeigt, als wir uns auf dem Parkplatz von Feinkost Meyer kennenlernten. Sie erinnern sich?«
Mamma Carlotta fuhr herum und starrte in Wiebke Reimers Gesicht. »È vero! Jetzt, wo Sie’s sagen …!«
Wiebke Reimers wurde ernst, ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf Erik. »Sie haben doch nichts dagegen, dass ich ein paar Fotos mache?« Sie zeigte auf die Leiter.
Mamma Carlotta beobachtete, wie ihr Schwiegersohn nervös seinen Schnauzer glattstrich. »Sie sind beruflich hier?«
»Eine gute Reporterin ist immer im Dienst.« Wiebke Reimers öffnete ihren Rucksack und zog eine Kamera hervor. »Ich bin auf Sylt wegen einer Reportage über Corinna Matteuer. Wenn daraus nichts mehr wird, will ich unseren Lesern wenigstens vor Augen führen, warum.«
Nun hatte Erik sich gefangen. »Die Identität der Toten ist noch nicht geklärt. Selbst wenn meine Schwiegermutter recht hat …«
»… ist immer noch nicht klar, wer sich da umgebracht hat«, ergänzte Wiebke hastig. »Corinna Matteuer oder Matilda Pütz.«
Mamma Carlotta wurde unruhig, als sie sah, wie Eriks Gesicht sich veränderte. In seinen Augen tauchte eine Erkenntnis auf, die ihn zu erschrecken schien. Er machte einen Schritt auf die Leiter zu, als wollte er noch einmal aufs Dach klettern, aber er verzichtete darauf. »Corinna und Matilda? So heißen die Schwestern?«
Wiebke Reimers bemerkte seine Verwirrung ebenfalls und behielt Erik fest im Auge.
»Pütz?«, murmelte Erik und starrte zum Dach hoch. Als es Wiebke Reimers gelungen war, die Leiter hochzuklettern, war unten der Auslöser ihrer Kamera zu hören.
Mamma Carlotta musste sich plötzlich zur Seite schieben lassen, eine barsche Stimme forderte: »Platz da!«
Menno Koopmann, der Chefredakteur des Inselblattes, schob sich an ihr vorbei, die Kamera vor der
Weitere Kostenlose Bücher