Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
dass Sie mich vor den Kindern in Schutz genommen haben. Eine Hand wäscht die andere.«
In Mamma Carlotta wollte sich keine Erleichterung einstellen. In der Kumpanei, die plötzlich in der Küche stand wie verbrauchte Luft, fühlte sie sich äußerst unwohl. Sie hatte Corinna Matteuer nicht in Schutz nehmen wollen. Es war ihr nur darum gegangen, die leidgeprüfte Frau an diesem Tag zu schonen. Wusste sie nicht, dass Italienern Höflichkeit über alles ging? Aber Höflichkeit und Wahrheit, das waren unter Umständen zwei völlig verschiedene Dinge.
»Und wenn schon«, sagte sie leichthin, nur um Corinna Matteuer die plumpe Uneigennützigkeit aus den Augen zu wischen. »Ich habe es nicht für mich, sondern für Niccolò getan.«
»Mal sehen, ob ich Ihnen helfen kann«, entgegnete Corinna, griff nach einem weiteren Brötchen, schnitt es auf und bestrich die beiden Hälften mit Butter. »Ein italienisches Bistro wäre gar nicht schlecht.«
»Ich dachte, Sylter werden bevorzugt?«, fragte Mamma Carlotta spitz. »Das hat Ihre Schwester gesagt.«
»Ja, das war eine der Bedingungen des Gemeinderates. Aber vielleicht finde ich einen Ausweg. Ich denke, ich werde jetzt ins Baubüro gehen. Arbeit lenkt ab.«
Mamma Carlotta sah sie erwartungsvoll an und hoffte auf die Ergänzung, dass sie sich in der Lage fühle, die nächste Nacht allein in ihrem Apartment zu verbringen, aber leider blieb diese Zusicherung aus.
E in Mitarbeiter der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle, kurz KTU genannt, hatte den Toten von den Handschellen befreit, mit denen er an den Schaltknüppel gefesselt worden war. Die Spuren an den Handgelenken zeigten, wie verzweifelt er daran gezerrt hatte.
Dr. Hillmot, der dicke Gerichtsmediziner, erschien schnaufend hinter Erik. Die paar Schritte von seinem Auto zum Parkhaus waren ihm anscheinend schon zu viel gewesen. »Wissen wir, um wen es sich handelt?«
Erik nickte. »Ludo Thöneßen. Gemeinderatsmitglied und Besitzer des Squashcenters.«
»Und Ehemann von Sila Simoni«, ergänzte Dr. Hillmot, der Ludos Eheschließung mit dem Pornostar anscheinend für dessen bedeutendste Entscheidung hielt.
Aber auch Sören hatte eine Ergänzung parat: »Und anscheinend der Einzige, der Bestechungsgelder von Matteuer-Immobilien zurückgewiesen hat. Jedenfalls, wenn man ihm glauben durfte.«
Erik nickte nachdenklich. »Sie meinen, sein Tod könnte etwas damit zu tun haben?«
Für solche Mutmaßungen war es noch zu früh, deswegen zuckte Sören nur mit den Schultern.
Erik erinnerte seinen Assistenten daran, dass Matilda Pütz in ihrem Abschiedsbrief von verschmähter Liebe gesprochen hatte. »Er hat sie betrogen.«
»Sie meinen, er hat was mit einer anderen gehabt?«, fragte Sören, wartete aber eine Antwort seines Chefs nicht ab. »Das kann sie auch anders gemeint haben. Vielleicht ging es nicht um eine andere Frau, sondern um Geld, um Macht, um ein großes Bauvorhaben, um das Bistro im Gesundheitshaus …«
»Oder Thöneßen wollte den Bau des Gesundheitshauses verhindern und musste deswegen sterben!«
Sören winkte ab. »Denken Sie an das Schild, das wir bei ihm gefunden haben. Ludos Bistro! Vielleicht wollte er kein Bestechungsgeld, sondern das Bistro im Gesundheitshaus.«
Erik zuckte mit den Schultern. »Na, und? Sie hätte es ihm ja beschaffen können.«
»Hatte sie die Macht dazu? Matilda Pütz war nur eine Angestellte ihrer Schwester. Corinna Matteuer hat das Sagen.«
»Sie meinen, Corinna wollte das Bistro einem anderen überlassen? Warum sollte Matilda dann Ludo umbringen? Wo ist das Motiv?«
»Er hat sie unter Druck gesetzt? Hatte was gegen sie in der Hand?«
Erik schüttelte heftig den Kopf. »Für solche Spekulationen ist es noch zu früh.«
Vetterich und seine Leute hatten die Leiche mittlerweile aus dem Auto gehoben und vor die geöffnete Beifahrertür auf den Boden gelegt. Ludo Thöneßens Gesicht war leichenblass, die Augen waren einen Spaltbreit geöffnet, als würde er nach der langen Zeit in totaler Finsternis von der Helligkeit geblendet. Sein Kiefer war herabgesackt, vor seinen Lippen stand eingetrockneter Schaum. Erik wandte sich ab von dem Anblick und dem Geruch, der von der Leiche ausging.
Stöhnend ließ Dr. Hillmot sich auf den Knien nieder. Er hasste nichts so sehr wie die Anstrengungen, die sein Beruf ihm zumutete. Sobald ein Toter in der Gerichtsmedizin auf dem Tisch lag, wurde er zu einem engagierten Arzt, dem keine Mühe zu viel war, aber solange der Tote auf dem Boden
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