Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
»Da fällt mir was ein … Ich hatte die Tote, diese …«
»Matilda Pütz«, half Erik.
»Ja, Matilda Pütz hatte ich heute Morgen auf dem Tisch. Da gibt’s ein paar Auffälligkeiten.«
Erik starrte den Gerichtsmediziner an, er merkte, dass Sörens Haltung sich genauso versteifte. »Was meinen Sie damit, Doc?«
Dr. Hillmot wiegte den Kopf hin und her, als wollte er sich nicht festlegen. »Beweise sind das nicht, aber man könnte sagen, dass manche Dinge ein bisschen … komisch sind.«
»Komisch?«
»Also, das ist so … Wer sich aus dem siebten Stock eines Hochhauses stürzt, wie diese Matilda Pütz, der trifft eigentlich mit dem Kopf oder dem Rumpf auf. Sie ist aber mit den Füßen gelandet.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Erik.
»Das zeigen ihre Verletzungen, die gebrochenen Fuß- und Beckenknochen, die Wirbelsäule, die in die Schädelbasis gestaucht wurde.«
Erik sah den Gerichtsmediziner mit offenem Munde an. »Wollen Sie damit sagen, dass Matilda Pütz nicht freiwillig gesprungen ist?«
Aber so weit wollte sich Dr. Hillmot nicht festlegen. »Diese Verletzungsmuster sind jedenfalls typisch für jemanden, der nicht fallen will, der automatisch versucht, auf den Füßen aufzukommen. Möglicherweise versucht er auch, sich irgendwo festzuhalten oder den Sturz mit den Armen abzufangen. Dann sind die Arme und Handgelenke gebrochen. So wie bei Matilda Pütz! Das deutet auf Abwehr- oder Abfangreflexe hin.«
»Das heißt, sie ist nicht gesprungen, sondern gefallen? Oder vielleicht sogar gestoßen worden?«, fragte Erik atemlos.
Aber Dr. Hillmot wehrte ab. »Nein, nein! Das sind nur Indizien, keine Beweise. Außerdem bin ich Arzt, kein Kriminalbeamter. Die Schlüsse aus meinen Beobachtungen müssen Sie ziehen, Wolf!« Er stöhnte tief auf und ergänzte: »Sie bekommen den Obduktionsbericht noch heute, da steht dann alles drin.« Er zeigte auf Ludo Thöneßen. »Mit meiner nächsten Arbeit wird es schneller gehen. Da dürfte es keine Auffälligkeiten geben. Den Bericht bekommen Sie dann morgen.«
Erik trat erleichtert auf die Straße, hielt sein Gesicht dem Wind entgegen und blickte eine Weile in Richtung des Meeres, das er hinter dem Deich toben hörte.
» G razie a Dio!« Mamma Carlotta flüsterte es immer wieder vor sich hin, während sie aufs Fahrrad stieg. Corinna Matteuer war aus dem Haus, und sie würde hoffentlich nie wieder dort auftauchen.
»Madonna!« Die Sache lief völlig aus dem Ruder. Schon jetzt würde sie sich mit keiner vernünftig klingenden Ausrede mehr aus dem Dilemma befreien können. Wenn eins der Kinder oder ein anderes Mitglied von »Verraten und verkauft« dahinterkam, dass der neue Betreiber des Bistros den Nachnamen Cappella trug, dann war sie geliefert! Corinna Matteuer hatte ihr Hilfe zugesichert, die sie gar nicht wollte. Sie versuchte sich mit ihr zu verbünden, und das alles nur – dessen war Mamma Carlotta sicher –, weil sie selbst Hilfe haben wollte. Nein, nicht mit Carlotta Capella! Zwar durfte ein Mensch, der gerade das Liebste verloren hatte, auf Trost und Zuspruch hoffen, aber in diesem speziellen Fall war das Haus Wolf nicht der richtige Ort dafür. Von den Kindern würde Corinna Matteuer kein freundliches Wort erwarten können, und auf ihre eigene Loyalität durfte sie sich nicht verlassen.
Nein, nein, so leicht war Carlotta Capella nicht zu bestechen! Carolin und Felix hatten recht, es änderte sich nichts, nur weil Corinna Matteuer unter dem Verlust ihrer Zwillingsschwester litt! Was würden die beiden erst sagen, wenn sie hörten, dass Corinnas Schwester einen Mord auf ihr Gewissen geladen hatte? Einen Mord an einem Sylter!
In dem Moment, als Mamma Carlotta die Ahnung beschlichen hatte, dass Corinna Matteuer ein Auge auf ihren Schwiegersohn geworfen haben könnte, war ihr Mitgefühl nicht mehr von Herzen gekommen. Corinnas Interesse an Erik hatte Mamma Carlotta noch weniger gefallen als ihre Absicht, auf Kosten der Insel Sylt reich zu werden. Eine verheiratete Frau! Hatte sie selbst, als ihr Dino pflegebedürftig geworden war, jemals daran gedacht, das Leben ohne ihn oder gar mit einem anderen Mann zu genießen? Nein, sie hatte ihr Schicksal angenommen, und das durfte man auch von Corinna Matteuer erwarten. Blieb nur zu hoffen, dass Erik seine Gefühle von damals überwunden hatte und sich nicht ein zweites Mal in Corinna verliebte.
Sie hatte die beiden mit Argusaugen beobachtet, als Erik nach Hause gekommen war, um Corinna abzuholen. Und der
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