Kurt Ostbahn - Blutrausch
kräftige Dosis Muntermacher nicht zugetraut hätte: Warum, fragt er sich, soll ich die Scheißplatten bei Media Sales abliefern, wo sich irgendwelche Scheißtypen damit ein goldenes Zumpferl verdienen, ich verkaufe die Scheißscheiben selber und kaufe mir um die hundert Prozent eine Harley, weil den Scheiß-Guns’n’Roses endlich jemand den Arsch aufreißen muß, und das wird der Wickerl sein, wer sonst. Und weil der Wickerl nicht ganz so blöd ist, macht er sich einen Plan: er sucht sich zuerst einen oder mehrere potentielle Abnehmer, die sich über den kulanten Preis seines Angebots freuen und aus lauter Freude keine Fragen stellen, dann entwendet er aus der Drucksortenabteilung von Media Sales einen Packen Lieferscheine und zweigt von den Neuzugängen und dem Lagerbestand seinen Bedarf an Whitney-Scheiben in seine Bananenkisten ab.
Daß sich von den tausenden Silberlingen der Wickerl das eine oder andere Scheibchen abgeschnitten hat, fällt erst dann auf, wenn die Druckerei die dazugehörigen Covers liefert und die falschen Whitneys zur Auslieferung in ihre Plastikschachteln müssen. Also ist das sein Tag X. Da muß er seinen Bedarf an Covers und Schachteln vom Lager der Media Sales in sein Lager, den Schupfen des Herrn Josef, überstellen. Und damit die Buchhaltung nicht etwa frühzeitig Verdacht schöpft, müssen gefälschte Lieferscheine über falsche Lieferungen der gefälschten Whitneys her, vorzugsweise ausgestellt an Kunden, die nicht vorbestellt haben, das würde zu rasch auffallen, sondern an irgendjemand, der dann nach Ablauf der 30 Tage Zahlungsziel seine erste Mahnung kriegt und nicht weiß, was ihm geschieht. Dann ist der Wickerl auf seiner Harley schon unterwegs nach Los Angeles und lacht sich einen Ast. Über „Mom & Dead“, bei denen er sich so für den Rausschmiß revanchiert, und über die Partie und mich, weil wir die Frau Marschall von ihrer wahren Berufung abhalten, und die wäre, mit dem Wickerl am Baß eine Band aufzumachen, die die Menschheit „Mom & Dead“, Guns’n’Roses und Gilbert & Sullivan ein für alle Mal vergessen läßt. Das hat er mir im Rausch im Rallye mehr als ein Mal an den Kopf geworfen.
Aber irgendwie ist Wickerls Tag X anders gelaufen als geplant. Die Leute von Media Sales sind nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen, das sind Profis und höchstwahrscheinlich viel mehr Profis als wir glauben, und wenn denen einer ins Handwerk pfuscht, schicken die einen Professionisten, der weiß, wie man den Wickerln dieser Welt zu einem raschen, wenn auch nicht ganz schmerzfreien Abgang verhilft. Amen.“
Wir stehen bereits die längste Zeit vor dem Haus Kirchengasse 83. Aber Trainer und Doc, der eine mit offenem Mund, der andere mit dem Haustorschlüssel in der Hand, machten keine Anstalten, meine Ausführungen zu unterbrechen.
„Nicht schlecht. In einigen Punkten geradezu überzeugend“, sagt der Doc jetzt nach einem ausführlichen Räuspern. „Aber wie gesagt: die voreiligen Schlüsse.“
„Das is doch alles sonnenklar“, sage ich. „Und den Rest erledigt die Kieberei.“
„Die wird nie einen Profi-Killer finden, der den Wickerl im Auftrag von Media Sales umgelegt hat“, sagt der Doc. „Das ist ihr Problem.“
„Aber nur, wenn sie deiner These folgt. Ich würde ihr raten, die Piratengeschichte zu kaufen inklusive Wickerls grenzdebilem Plan, die Hand zu beißen, die ihn füttert. Das ist in Ordnung. Aber dein Finale ist, gelinde gesagt, untragbar. Ein kleines Beispiel, weil es mir gerade einfällt: Wer hat den Wickerl wenige Tage vor seiner Ermordung gefoltert? Und warum?“
„Gefoltert?“
„Steht im Obduktionsbericht. Und der steht in der Zeitung“, mischt sich der Trainer ein.
Ich nicke und dabei steht mir das Hirn. Wie man so sagt.
„Vorschlag“, sagt der Doc, und ein mitleidiges Lächeln huscht über sein fahles Antlitz. „Wir machen uns einen Kaffee, du schaust dir die Videos an, und erst dann reden wir weiter.“
„Wunderbar“, sage ich.
Es klingt nicht wirklich überzeugend.
13
Das Arbeitszimmer des Doc sieht aus, als wäre ein phantasiebegabter Innenarchitekt genial an der Aufgabe gescheitert, die Bibliothek von Professor Higgins in die Kommandozentrale der „Enterprise“ zu integrieren.
Ist das postmodern?
Während der Trainer draußen in der Küche rumort, er macht Kaffee und Käse-Ananas-Toast, schaufelt der Doc für mich den gemütlichen Ohrensessel frei. Er packt die Computerausdrucke, Faxe, Zeitschriften und
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