Kurt Ostbahn - Schneeblind
meint sie, »aber Karin wird darüber nicht traurig sein. Sie hat inzwischen gelernt, damit zu leben, in der zweiten Reihe zu stehen. Und von dort aus schaut sie auf mich und paßt auf mich auf. Apropos: Auch wenn das alles ein bißl viel auf einmal war, hätte ich gern deine Einschätzung mit nach Hause genommen, Kurt. Dreht der Kreuzschinder nur im Kopf durch oder wird er tatsächlich tun, was er in dem Fax ankündigt?«
»Keine Ahnung«, sage ich. »Du hast mit ihm fast zwei Jahre lang korrespondiert. Ich weiß nur, daß der Typ so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen werden muß. Zu seinem eigenen Schutz und dem sämtlicher Michaelas dieser Welt, wie du vorhin richtig gesagt hast.«
»Wenn ich mit den beiden Briefen da zur Polizei gehe«, meint Nora, »was — glaubst du — wird die tun? Richtig. Sie wird mir ins Gesicht lachen und sagen: Selber schuld, Gnädigste, aber das kommt davon, wenn man sich auf Ihre Art sein Geld verdient. Da gerät man nun einmal an die Kranken und Perversen. Ich hab diesbezüglich so meine Erfahrungen. In meiner Studiozeit gabs einen ganz besonders hartnäckigen Kunden, der mich buchstäblich Tag und Nacht verfolgt hat mit seinen Liebesschwüren. Und nachdem ich ihn hochkant rausgeschmissen hab, weil er unangekündigt mitten in eine Session geplatzt ist, um mir einen Sklavenvertrag auf Lebenszeit zu überreichen, hat er mich monatelang mit Anrufen und Briefen bombardiert. Absoluter Psychoterror. Eines Abends komm ich zu meinem Auto und trau meinen Augen nicht: Die Windschutzscheibe und die Kühlerhaube waren mit nicht sehr schmeichelhaften Ausdrücken vollgeschmiert und mit meiner privaten Telefonnummer.
Ich hab ihn angezeigt, und die Herrn auf der Wachstube haben nichts unternommen, außer mich blöd grinsend darüber aufzuklären, daß solche Vorfälle in meinem Gewerbe zum Berufsrisiko gehören und ich meine Telefonnummer ändern soll, wenn sich in nächster Zeit lukrative Anträge anonymer Freier häufen sollten.«
Nora unterbricht sich, schaut auf die Uhr und will dann ganz dringend telefonieren.
»Simon? Ja, da ist die Tante Nora ... Gerda bringt dich jetzt zur Schule, und wir sehen uns dann am Sonntag, bei der Mama ... Versprochen ... Und tut mir leid wegen gestern abend, daß ich dir nicht mehr Gute Nacht sagen konnte ... Nein, Simon, ich war nicht im Kino ... Ich hab gearbeitet, ja, manchmal muß ich halt auch in der Nacht arbeiten ... Also, am Sonntag. Um halb drei ... Ich dich auch ... und ganz viele Nora-Bussis.«
Keiner fragt mich, aber auch ich würde sofort Ja sagen zu dieser Tante.
»Wir tun, was wir können, um deinen Kreuzschinder ausfindig zu machen«, sage ich, »aber da wir, wie du weißt, nur nebenberuflich ermitteln, der Trainer, der Doc und ich, und der Doktor momentan auch noch grippemäßig schwer bedient ist, rennt uns sozusagen die Zeit davon, und wir haben nicht genug Personal, um sie aufzuhalten. Aber mir wird schon was einfallen. Vielleicht nicht in der Minute ...«
»Du schaust müde aus«, meint Nora. »Ich werd dann gehen. Und wir telefonieren, sobald ...«
»Oder du gehst noch nicht«, sage ich, »und singst mich in den Schlaf.«
»Das Singen ist dein Revier«, sagt die strenge Dame, die mir in den letzten Stunden so richtig ans Herz gewachsen ist. »Und außerdem wird mir das Pflaster hier zu schnell zu heiß. Nora beschließt den geordneten Rückzug. Ah ja, und grüß mir den Trainer. Sag ihm, ich warte. Aber nimmer lang.«
»Verstehe«, sage ich, obwohl das nicht der Fall ist.
»Er weiß schon, was gemeint ist«, sagt Nora, als ich sie hinaus ins Vorzimmer begleite. Sie dreht sich zu mir um, legt den Zeigefinger auf ihre Lippen und flüstert. »Top secret. Der Trainer und ich haben da so unser kleines Geheimnis, und er ist mir diesbezüglich noch was schuldig. Aber du kennst ihn ja ...«
»Kopflos«, sage ich, obwohl ich Nora viel lieber sagen würde, daß auch ich jederzeit bereit wäre, mit ihr ein kleines Geheimnis zu teilen. Dann helfe ich ihr schweigend in den Mantel.
Als Dank krieg ich zum Abschied ein Zwickerbussi.
15
D&G.
Am späten Nachmittag, als ich nach zu wenig Stunden unruhigen Schlafes in der Wanne liege und mir noch Traumreste erotischen wie kriminalistischen Inhalts gleich Spinnweben den klaren Blick auf die wirkliche Welt verstellen, schlagen Kreuzschinder und der »Armageddon«-Fanclub auf ein neues zu.
Der Trainer schickt mir kommentarlos das jüngste Elaborat der Weltuntergangsfraktion, laut
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