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Kurt Ostbahn - Schneeblind

Kurt Ostbahn - Schneeblind

Titel: Kurt Ostbahn - Schneeblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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hab ich mich dran gehängt und ein bißl gehutscht.«
    Der Trainer nimmt mir das Foto aus der Hand und legt es zu den anderen zurück auf den Tisch.
    »Wer hat den Motor repariert, Trainer?«
    »Die Nora und ich. Weil sie den Flaschenzug für eine Session gebraucht hat.«
    »Und dabei hat sie dich fotografiert?«
    »Nein. Dabei hat mich niemand fotografiert, Kurtl. Weder die Nora noch sonst jemand. Weil nämlich außer uns beiden niemand im Haus war, der hätt fotografieren können. Okay. Okay. Ich hab das untern Tisch fallen lassen, daß ich mit der Nora in der Raxstraße war, weil ich mir zuerst gedacht hab, das geht nur sie und mich was an und sorgt zusätzlich für Konfusion und wüste Spekulationen, wenn ich dem Doc und dir die ganze komplizierte Geschichte erzähle, von der Nora und mir und der Noroticom. Aber das war wahrscheinlich keine so gute Idee. Weil jetzt steh ich blöd da, und die Nora ist in euren Augen unglaubwürdig. Dabei kann sie absolut nix dafür. Is alles allein meine Schuld.«
    Der Trainer war mir immer schon ein Rätsel, und als er in die Küche marschiert, um noch zwei Dosen Gösser zu holen, mache ich mich auf eine Enthüllung gefaßt, die Watergate, Noricum oder die CDU-Spendenaffäre zumindest in den Schatten stellt. Gedanken aus der an sich unzulässigen Was-weiß-man-Sektion jagen mir durch den Kopf. Auch sie verdammt schnell und unsortiert. Was weiß man, hat es je einen Rechberger Andi gegeben und eine Karin Richter, die auf der Maturareise ihr ungeborenes Kind verloren hat? Was weiß man, ist der Trainer in Wirklichkeit kein Trainer? Was weiß man, ist er nur sechs Monate im Jahr ein Trainer und baumelt die andre Jahreshälfte in Cowboyboots und kariertem Flanellhemd an Noras Flaschenzug? Was weiß man, war der Trainer noch nie auf Teneriffa, und ich hab ihn dort auch nie besucht? Was weiß man, ist sein Leben deshalb so muy complicado, weil er mit zwei SM-Lesben eine Erpresseragentur betreibt, die Prominente aus Film und Fernsehen ausnimmt? Was weiß man, ist dieser Club Severin ein weltweiter Geheimbund, eine Art Templerorden für Fetischisten und Flagellanten, und der Trainer ihr Hohepriester oder Zuchtmeister? Was weiß man.
    »Ich bin ihr Ghostwriter«, sagt der Trainer, als er mit den zwei Dosen Gösser wiederkommt. Dann kehrt er mit einem Wischer die Essensreste der letzten Tage zur Seite und pflanzt sich in sein Sofa.
    »Du bist was?« frage ich, nur um sicherzugehen, daß ich mich nicht verhört hab. Ich weiß, daß der Trainer die Öffentlichkeit scheut und sich gern hinter Pseudonymen und falschen Identitäten verbirgt. Aber was hat dieses Rock’n’Roll-Urgestein hinter der schwarzen Maske einer Domina zu suchen? Und wie paßt das zu seiner glühenden Verehrung für Audrey Hepburn?
    »Ich bin Noras Ghostwriter«, wiederholt er. Um dann, weil der Damm endlich gebrochen ist, sehr, sehr weit auszuholen. Seine Ausführungen führen bis ins Paris der 30er Jahre, zu einem jungen, mittellosen Dichter namens Henry Miller und seiner Muse Anaïs Nin, die durchaus Vergleichbares geschaffen hätten, nämlich pornografische Prosa gegen Honorar für reiche Sammler und Connaisseure. Der Trainer schreibt für Noras (Internet-)Kunden Szenarios, Kurzgeschichten, Monologe, fiktive Tagebücher, alles was so anfällt und wozu Nora ganz einfach die Zeit fehlt.
    »Was glaubst du, is das da?« fragt er mich und macht mit beiden Armen eine Geste, die alle grellgelben Memos miteinschließt.
    »Keine neuen Songtexte?«
    »Richtig«, sagt der Trainer.
    »Und seit wann geht das schon?«
    »Was?«
    »Na, das mit der Nora und dir?«
    Der Trainer zieht seine linke, hysterische Augenbraue hoch.
    »Daß du auch für sie Texte schreibst, mein ich ?«
    »Ein halbes Jahr, knapp ein halbes Jahr«, sagt der Trainer und will mir nun auch nicht länger verheimlichen, daß Noras Urlaubsreise nach Teneriffa natürlich kein Zufall gewesen ist. Unter südlicher Sonne hätte man an einem neuen Projekt gearbeitet, einer Fortsetzungsserie für Noras Homepage: ein Dutzend zirka zehnminütige Video-Episoden in klassischer Stummfilmmanier mit typischer Cliffhanger-Dramaturgie, Arbeitstitel: »Donna In Distress«. Mit Gerda in der Titelrolle der guten Geheimagentin Donna, die von ihrer bösartigen Gegenspielerin Nora gejagt, gefangen, gefesselt und ein bißchen gefoltert wird, im letzten entscheidenden Moment aber fliehen kann, um in der nächsten Folge auf ein Neues gejagt, gefangen, gefesselt und ein bißchen gefoltert

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