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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Jahren ebenfalls in diesem Zimmer erstochen worden. Zunächst war der Alte im Verdacht gestanden, aber dann hatten sich Haare des Gärtners auf der Klinge gefunden. Der Junge hatte alles abgestritten, war aber wegen Mordes verurteilt worden. Angeblich habe er eine Affäre mit der Frau des Alten gehabt. Meiner Erinnerung nach war es Inga gewesen, die dies damals aufs Parkett gebracht hatte.
    „Das ist noch nicht alles“, meinte Steinke. „Es ist sogar auf den Tag genau zehn Jahre her. Irgendjemand hat hier Jahrestag gefeiert.“ Er blickte auf Inga.
    „Werden Sie mir helfen, Herr Kurth?“, fragte Inga, nunmehr flehend.
    „Nein“, meinte ich und drehte mich um. Dann verließ ich ohne ein weiteres Wort den Raum. Ich war froh, dass der Alte tot war. Sie war ganz offensichtlich die Mörderin. Was sollte ich da noch für sie tun? Zeitverschwendung.

    Als ich kurz nach Mitternacht in meine Wohnung kam, saß er in meinem Sessel. Vielleicht zuckte ich wirklich einen Moment lang zusammen, aber nicht sehr. Eigentlich überraschte es mich nicht im Mindesten. So etwas Widerliches wie der Alte war einfach nicht totzukriegen.
    „Sie wollen also meiner Tochter nicht helfen?“, knurrte er, genau so missbilligend wie früher.
    „Wollen Sie ein Bier?“, fragte ich.
    Er sah mich strafend an.
    „Herzlich gerne“, meinte er. „Aber ich kann leider nichts trinken.“
    „Schlecht für die Gesundheit, hm?“ Ich konnte es mir nicht verkneifen.
    „Ich liege in der Leichenhalle“, fuhr er mich an. „Was schert mich da meine Gesundheit?“
    „Warum trinken Sie dann nichts?“
    „Ich bin ein Geist, Sie Idiot! Das Bier würde auf Ihrem Sessel landen!“
    „Macht auch nichts mehr aus. Sie schulden mir ohnehin noch Geld.“
    „Sind Sie immer so nachtragend? Ich bin tot, Scheiße noch mal. Sie werden mich doch wohl wenigstens im Grabe ruhen lassen!“
    „Das würde ich tun, wenn Sie dort lägen. Aber Sie sitzen in meinem Sessel.“
    „Wo soll ich mich denn sonst hinsetzen?“, herrschte er mich an und sprang auf. „Wo ist es Ihnen denn genehm?“
    „Am liebsten draußen. Oder irgendwo auf dem Friedhof. Ich war gerade so froh, dass ich Sie endlich los bin.“
    „Menschliche Regung und Mitleid sind Ihnen wohl fremd, oder?“, brummte er und begann in meinem Wohnzimmer auf und ab zu laufen.
    „Lustig, dass Sie das sagen“, meinte ich ungerührt. „Ich wusste nicht einmal, dass Sie diese Worte kennen.“
    „Sie müssen meiner Tochter helfen!“, beharrte er.
    „Wieso?“
    „Weil sie mich nicht ermordet hat.“
    „Ihre Fingerabdrücke waren auf dem Messer. Nur ihre. Obwohl sie sicher niemals in der Küche Steaks zubereitet hat. Sie war die einzige Person im Haus außer Ihnen. Und Sie wollen mir erzählen, sie war es nicht?“
    „Nein, war sie nicht! Das sagte ich Ihnen doch schon.“
    „Wer war es dann?“
    Er senkte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“
    „Sie wissen nicht, wer Sie ermordet hat?“
    „Nein. Ich konnte den Mörder nicht sehen.“
    „Jemand rammt Ihnen ein Steakmesser in die Brust und Sie können nicht sehen, wer es war?“
    „Ich kann mir das auch nicht erklären! Aber es ist die Wahrheit.“
    „Denken Sie sich eine glaubwürdigere Wahrheit aus“, sagte ich, schloss die Augen und klatschte dreimal in die Hände. Als ich die Augen wieder öffnete, war er verschwunden. Es hatte funktioniert.
    Ich schenkte mir selbst ein Bier ein und ließ es mir schmecken.

    Am nächsten Tag rief mich Ingas Anwalt an. Er bestand auf einem gemeinsamen Termin, weil seine Mandantin mich unbedingt sehen wolle. Ich sagte ihm, dass er mich einmal könne. Und Inga sowieso.
    Mein zweiter Besucher war da hartnäckiger. Um Punkt Mitternacht kreuzte Malkowski wieder auf. Ich hatte noch in einer Bar einen gekippt und war mit meinem Auto auf dem Weg nach Hause. Zugegebenermaßen etwas angetrunken. So gesehen war mir der Alte, der plötzlich auf meinem Beifahrersitz auftauchte, immer noch lieber als eine Polizeistreife.
    „Da bin ich wieder“, sagte er, diesmal etwas freundlicher.
    „Ich sehe es“, meinte ich.
    „Wollen Sie mich diesmal erklären lassen?“, fragte er.
    „Wozu? Sie sind doch verrückt.“
    „Ich verrückt?“, rief er aus und lachte sein dreckiges kleines Anwaltslachen. „Sie sind derjenige, der in der Jugendpsychiatrie war, nicht ich.“
    Das saß. Malkowski brachte gerne Sachen aufs Parkett, die anderen Leuten weh taten.
    „Lassen wir das“, fuhr ich ihn gereizt an. „Sagen Sie, was Sie zu sagen

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