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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dass man einem Kind einen Zweifel zubilligen könnte.»
    «Aber Sie selber hegen keinen Zweifel am wirklichen Tathergang?», fragte Audrey.
    Treves erwiderte ernst: «Persönlich bin ich der Meinung, dass es ein vorsätzlicher Mord war. Ein Mord, den ein Kind bis in jede Einzelheit geplant und durchgeführt hat.»
    «Hatte es ein Motiv für die Tat?», forschte Ted.
    «O ja. Kindliche Neckereien, unfreundliche Worte – genug, um Hass zu erwecken. Kinder hassen leicht…»
    «Aber die genaue Überlegung, die dabei notwendig war!», rief Mary.
    «Ja, das war schlimm. Dazu gehörte allerlei. Man stelle sich ein Kind vor, das im geheimen einen Mordplan hegt, alles zur Ausführung vorbereitet, dann die Tat ausführt und schließlich Kummer und Verzweiflung vortäuscht. Das war so unglaublich, dass das Gericht diese Vermutung gar nicht hätte gelten lassen.»
    «Was ist aus dem Kind geworden?», fragte Kay neugierig.
    «Sein Name wurde geändert, soviel ich weiß. Das schien ratsam, nachdem die Sache derart viel Staub aufgewirbelt hatte. Heute ist das Kind längst erwachsen – irgendwo auf der Erde. Die Frage ist, ob es wohl noch immer das Herz eines Mörders hat?» Nachdenklich fügte Treves hinzu: «Es ist lange her, aber ich würde meinen kleinen Mörder jederzeit wiedererkennen.»
    «Das ist doch wohl ausgeschlossen», meinte Thomas.
    «O nein. Das Kind hatte ein besonderes körperliches Kennzeichen. Na, wir wollen das Thema lieber fallen lassen. Es ist nicht gerade vergnüglich. Außerdem muss ich mich jetzt auf den Heimweg machen.»
    Treves erhob sich.
    «Wollen Sie nicht erst noch etwas trinken?», forderte Mary ihn auf.
    Die Getränke standen auf dem Tisch am andern Ende des Raumes. Thomas, der sich in der Nähe befand, trat zu dem Tisch und entkorkte die Whiskyflasche.
    «Einen Whisky-Soda, Mr Treves? Und Sie, Mr Latimer?»
    Nevile sagte mit gedämpfter Stimme zu Audrey: «Der Abend ist so schön. Komm doch ein bisschen mit hinaus.»
    Sie hatte beim Fenster gestanden und auf die mondbeschienene Terrasse hinausgeblickt.
    Er ging an ihr vorbei und wartete draußen.
    Sie schüttelte rasch den Kopf und wandte sich ins Zimmer zurück.
    «Nein, ich bin müde. Ich… ich will lieber zu Bett gehen.»
    Sie durchquerte den Raum und verließ das Zimmer.
    Kay gähnte unverhohlen.
    «Ich bin auch müde. Wie steht’s mit Ihnen, Mary?»
    «Ich gehe ebenfalls schlafen. Gute Nacht, Mr Treves. Begleite Mr Treves, Thomas, ja?»
    Die beiden Frauen gingen hinaus.
    Ted Latimer sagte liebenswürdig zu Treves: «Ich habe denselben Weg wie Sie, Mr Treves. Ich muss zur Fähre und komme an Ihrem Hotel vorbei.»
    «Besten Dank, Mr Latimer. Es freut mich, wenn Sie mich begleiten.»
    Obwohl Treves die Absicht geäußert hatte, heimgehen zu wollen, schien er nun keine Eile mehr zu haben. Er nippte genießerisch seinen Whisky und ließ sich von Thomas über das Leben in Indonesien berichten.
    Thomas zeigte sich wieder einmal einsilbig. Offenbar weilten seine Gedanken ganz woanders, und es schien ihm Mühe zu bereiten, die Fragen des alten Herrn zu beantworten.
    Ted Latimer wartete ungeduldig auf den Aufbruch.
    Unvermittelt warf er ins Gespräch: «Ach, das hätte ich fast vergessen! Ich habe Kay ein paar Grammofonplatten mitgebracht, die sie haben wollte. Sie sind in der Halle. Ich hole sie. Würden Sie ihr morgen Bescheid sagen, Mr Royde?»
    Thomas nickte.
    Ted verließ das Zimmer.
    «Der junge Mann hat eine unruhige Natur», bemerkte Treves.
    Thomas knurrte irgendetwas Unverständliches.
    Treves setzte das ziemlich einseitig geführte Gespräch eine Weile fort, bis Nevile von der Terrasse zurückkehrte.
    Im gleichen Augenblick kam Ted von der Halle herein.
    «Nanu, Ted, was schleppst du denn da?», fragte Nevile.
    «Grammofonplatten für Kay. Sie bat mich, sie mitzubringen.»
    «Ach? Davon hat sie mir gar nichts gesagt.»
    Nur einen Augenblick war eine Spannung zwischen den beiden zu spüren; dann ging Nevile zu dem Tisch mit den Getränken hinüber und schenkte sich ein Glas Whisky-Soda ein. Er sah erregt und unglücklich aus und atmete heftig.
    Seit Neviles Erscheinen schien Thomas das Gefühl zu haben, seiner Pflichten als Gastgeber enthoben zu sein. Er verließ den Raum, ohne sich zu verabschieden – offenbar hatte er das völlig vergessen –; sein Gang war etwas rascher als gewöhnlich.
    «Ein wunderbarer Abend», bemerkte Treves höflich. «Jetzt muss ich aber wirklich gehen.»
    «Kommen Sie bald wieder und besuchen Sie Lady

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