Kurz vor Mitternacht
kann die Sache nur von der einen oder von der anderen Seite betrachten. Entweder gab es einen Streit, und er verlor die Selbstbeherrschung – was ich nicht glaube, denn ich habe Strange auf dem Tennisplatz gesehen, wo er, im Gegensatz zu den meisten Tennisspielern, immer ruhig und gelassen blieb –, oder aber es handelt sich um einen vorbedachten Mord, das heißt, er war auf das Geld der alten Dame aus. Die zweite Theorie passt mit der Glocke und auch mit dem Einschläfern des Mädchens zusammen, aber sie stimmt nicht mit dem Golfschläger und dem Streit überein! Hätte er den Plan gefasst, seine Tante umzubringen, so wäre er sorgfältig darauf bedacht gewesen, nicht mit ihr zu streiten. Dann hätte er wohl auch kaum alle die offensichtlichen Spuren hinterlassen. Die vielen Elemente, die wir haben, lassen sich nun einmal nicht zusammenfügen.»
«An Ihrer Erklärung ist was dran, Battle, aber… aber wohin führt uns das?»
«Da niemand den Golfschläger benutzen konnte, ohne Stranges Fingerabdrücke zu verwischen, muss der Mord mit einem andern Gegenstand verübt worden sein.»
Major Mitchell holte tief Atem.
«Donnerwetter… ist das nicht etwas weit hergeholt?»
«Es ist eine logische Folgerung, Major. Entweder hat Strange den Mord mit dem Golfschläger verübt oder niemand. Ich setze auf niemand. In diesem Fall hat der Täter den Golfschläger absichtlich zurückgelassen und ihn mit Blut und Haaren beschmiert. Auch der Arzt konnte nicht mit Sicherheit bestätigen, dass er als Mordwaffe gedient hat.»
Mitchell lehnte sich zurück.
«Fahren Sie fort, Inspektor. Ich bin gespannt. Die nächste Folgerung?»
«Lassen Sie den Golfschläger aus dem Spiel, was bleibt dann? Erstens das Motiv. Hatte Nevile Strange wirklich ein Motiv, seine Tante umzubringen? Er behauptete, das Geld nicht nötig zu haben. Diese Aussage müsste nachgeprüft werden. Steht er finanziell schlecht da, so sieht die Sache allerdings böse aus für ihn. Hat er aber die Wahrheit gesagt, dann…»
«Nun, dann?»
«Dann müssen wir herausfinden, wer sonst im Hause ein Motiv haben könnte.»
«Sie nehmen an, dass Nevile Strange in Verdacht kommen sollte?»
Battle erwiderte nachdrücklich: «Es steckt etwas dahinter, das steht fest. Gerade weil die Sache so einfach aussieht.»
Der Polizeidirektor sah Battle nachdenklich an.
«Sie könnten Recht haben. Ja, wahrhaftig, je mehr ich mir’s überlege – es steckt etwas dahinter. Haben Sie sich schon einen Schlachtplan zurechtgelegt?»
Battle rieb sich das kräftige Kinn.
«Ich ziehe stets den geraden Weg vor. Alles ist darauf angelegt worden, uns glauben zu machen, Nevile Strange sei der Mörder. Lenken wir also unsern Verdacht auf ihn. Wir brauchen nicht so weit zu gehen, dass wir ihn verhaften, aber wir wollen es andeuten, wollen ihn verhören und ihm die Hölle heißmachen – und dabei beobachten, wie die andern reagieren.»
«Sie sind ja geradezu ein abgefeimter Bühnen-Bösewicht», sagte Major Mitchell mit einem Zwinkern.
Der Inspektor lächelte.
«Ich tue immer das, was man von mir erwartet, Major. Diesmal will ich mir besonders viel Zeit lassen. Ich möchte ein bisschen herumschnüffeln. Und wenn ich Strange verdächtige, bietet sich mir eine gute Gelegenheit zum Schnüffeln. Ich werde den Verdacht nicht los, dass in diesem ‹Möwennest› etwas Sonderbares vorgegangen ist.»
«Cherchez la femme?»
«Gewissermaßen, Major.»
«Na, tun Sie, was Ihnen beliebt, Battle. Sie und Leach können die Sache gemeinsam übernehmen.»
«Danke, Major.» Battle erhob sich. «In der Anwaltskanzlei ist wohl nichts in Erfahrung gebracht worden, das aufschlussreich sein könnte?»
«Nein. Ich habe dort angerufen. Trelawny kenne ich recht gut. Er will mir eine Abschrift des Testaments von Sir Matthew und von Lady Tressilian schicken. Sie bezog jährlich fünfhundert Pfund. Sie hat Barrett ein Legat ausgesetzt, eine kleinere Summe dem Diener Hurstall vermacht, der Rest geht an Miss Aldin.»
«Die drei müssen wir im Auge behalten», sagte Battle.
Mitchell betrachtete ihn sinnend.
«Sie sind ziemlich argwöhnisch, was?»
«Es hat keinen Sinn, sich von fünfzigtausend Pfund hypnotisieren zu lassen», erwiderte der Inspektor ruhig. «Manch ein Mord ist schon wegen weniger als fünfzig Pfund verübt worden – möglicherweise hat sie sich selbst betäubt, um jeglichen Verdacht von sich abzulenken.»
«Um ein Haar hätte sie das Leben eingebüßt», wandte Mitchell ein. «Dr. Lazenby hat
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