Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
war ich mir jetzt sicher, der Betreffende würde lieber die Asphaltplatten zählen, auf die er seine Füße setzte, als auch nur einen flüchtigen Blick auf mein gelbes hängendes Gesicht zu werfen.
Ich fragte bei allen Bekannten nach und bei jenen von ihren, die ich kannte, aber alle schüttelten nur die Köpfe und wollten von ihren eigenen Problemen reden.
Die Stadt wurde aschgrau, meine Welt war verheert und mein Herz niedergetrampelt wie die von den Abdrücken Tausender Hufe einer scheuenden Herde gezeichnete Steppe. Ich saß in einer wattierten Jacke auf dem Balkon. Unten rangelten die Buben herum, in unserem Block waren ein paar neue Babys dazugekommen, und niemand hatte eine Ahnung davon, dass jeder neue blasse Sonnenaufgang der letzte sein konnte, weil ich mir wünschte, es wäre so, und auch darum betete.
Ich ging in den Süm und klebte jede Woche einen neuen Zettel mit meiner Bitte auf die Walzen, weil die Hände derer, die die Mühlchen drehten, nach sieben Tagen die Schrift verwischt und mein Gebet auf ihren Handflächen in Gers und in Hochhäuser getragen hatten, wo Männer mit Schnapsflaschen auf den Gängen herumhockten und andere in ihren Wohnungen den Enkeln den Rotz abwischten, und irgendwo zwischen ihnen musste meine Dolgorma sein, doch sagte es mir keiner von ihnen, und dabei hatte ich mit einigen nach ein paar Monaten schon Bekanntschaft geschlossen.
Wir nickten einander bei den Gebetsmühlen zu, und ich war froh, dass auch andere zu trauern hatten und wie ich Zettel aufklebten. Frauen beteten um die Rückkehr ihrer Männer,
darum, dass Burchan die Hand über ihre Söhne hielte, auch um Geld baten sie, und die Gebetsmühlen drehten sich auch unter den Händen all jener, die in den Süm gekommen waren, um ihrer Pflicht Genüge zu tun, weil von Zeit zu Zeit eine geheiligte Stätte zu ehren sich für jeden gehört. Es war schon kalt, daheim wärmte ich mir dann im heißen Wasser die Hände auf, und es ging mir gleich etwas besser, weil ich nie an Gebete zu glauben aufgehört hatte, wiewohl ich, kaum dass es mir gut geht, Burchan sofort aus meinen Gedanken streiche.
Aber in diesem unglücklichen Jahr gehörten ihm meine flehentlichen Gedanken von früh bis spät. Gut ging es mir damals nämlich nie.
Ich suchte häufig Najramdal ein Stockwerk tiefer zu einem Plausch auf, und das waren die einzigen Momente, wo es halbwegs erträglich war. Über Dolgorma sprachen wir nicht. Ich wusste, was er von der Sache hielt. Dass junge Mädchen oft widerspenstig sind und sich nicht zu benehmen wissen, sie sich aber früher oder später anders besinnen, und meinem Spatz gab er höchstens ein paar Wochen. Dass sie im Grund ein braves Mädchen war, wussten wir beide, und mit der Zeit musste sie doch Sehnsucht nach ihrer Mama bekommen.
Najramdal nahm meine Hand, und so saßen wir bei ihm, hielten einander, tranken Tee und schauten jeden Monat mehrere Abende lang fern. Wenn Najramdal meine Hand in der seinen hielt, ließ sich die Trauer ertragen. Er hätte die Hand einer jüngeren Frau in seinen Händen halten können, er war ein gut erhaltener Mann, auch seine Wohnung war gut in Schuss, aber er nahm meine Hand, und ich spürte, dass es nicht aus Mitleid war.
Nach einigen Monaten fiel mir das erste Mal ein, es würde möglicherweise nie mehr anders werden. Die Farben nie
mehr in die Blumen zurückkehren, auch warme Sonnentage frostig sein und ich ewig ihre Strahlen verfluchen, weil sie sie berührten und mir das nicht möglich wäre. Dass Dolgorma etwas zugestoßen war, dachte ich nicht.
So was hätte mir doch nicht passieren können. Ich hatte schon genug mitgemacht. Wenn sie zurückkommt, wird sie eine Abreibung kriegen. So ging das in mir auf und ab.
Später hörte es auf. Hauptsache, sie wäre da.
Und so begann ich ab dem fünften Monat, in dem sie weg war, täglich Gebete zu kleben.
· 2 ·
DIESE GESCHICHTE HÖRTE ich oft. Mutter hat sie mir viele Male erzählt.
Abends, wenn ich nicht einschlafen konnte, setzte sie sich neben das Kinderbett und drückte ihre Stirn an meine. Ihre Hände waren kühl. Sie legte mir zart ihre Finger auf den Mund, damit ich zu feilschen aufhörte, sie müsse ganz einfach gehen, sollte ich aber aufhören, lästig zu sein, würde sie sie mir wieder einmal erzählen.
Es gab zahllose dieser Abende. Sie verliefen fast jedes Mal gleich. Ich wollte nie, dass Mutter wegging, alleine zu schlafen ist das Schlimmste, und ich wusste, Mütter sollten ihre Kinder nicht so behandeln,
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