Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
war betrunken, und es sollte schlecht ausgehen. Es hing mit ihrem Alter zusammen. Auch ich war in der Jugend heißblütig gewesen, aber nie so vermessen. Mama hätte mir mitten ins Gesicht geschlagen. Ich schlug Dolgorma nicht.
Ich war also betrunken und faselte Blödsinn, anstatt abzuschließen und den Schlüssel aus dem Fenster zu werfen. Dolgorma war gerade sechzehn geworden und knallte die Tür hinter sich zu.
Ich glaubte, es ließe sich alles bereden, wenigstens zwischen uns, schließlich war sie nicht gerade dumm. Sie war die Beste in der Schule, und ich dachte, sie sei nicht mehr ganz ein Kind. Ihr musste doch klar sein, dass das alles hauptsächlich ihretwegen so war, dass ich ihr nie etwas Böses zugefügt, mich immer bemüht hatte, und auch Najramdal hatte gesagt, wie
phantastisch ich mit ihr umginge, und auch andere behaupteten, sie sähe aus wie aus dem Ei gepellt, und dann das. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, nicht nach all den Jahren. Wenn sie mir wenigstens eine Gelegenheit gegeben hätte, sie aber legte sich sofort alles in ihrem Kopf nach ihrer Sicht zurecht, und ich konnte ihr dann das Blaue vom Himmel herunter versprechen, und es war doch sinnlos, sie hörte mich nicht an, diese kleine Göre erlaubte sich, über mich ein Urteil zu fällen oder was. Diese Kleine, die noch keinen einzigen Tugrik heimgebracht hatte und sich schon aufplusterte, diese Kleine mit ihren feinen Damenhändchen, die noch keine Bekanntschaft damit geschlossen hatten, was es heißt, wenn eine Frau sich an die letzte Gelegenheit klammert und ein schweres Tor ihr die Finger zerschmettert, wenn sie die letzte Möglichkeit hat und jede Entscheidung die schlimmste von allen ist, die sie je getroffen hat, wenn es hier so schlecht ist wie dort, aber es sonst einfach nichts anderes gibt, dieses Mädchen wusste von alldem noch nichts und unterstand sich trotzdem, mir zu sagen, was gut ist und was nicht. Wie hätte dieses kleine Mädchen wissen können, dass ich an dem, was sich in ihrem Kopf im Handumdrehen fügte, was wie ein Kinderpuzzle aussah, jahrelang hatte herumtüfteln müssen, und dazu noch sie brauchte, um es endgültig zu kapieren. Ich hatte nächtelang alles abgewogen, hatte damals schon nachgedacht, als sie noch nicht wusste, dass sie ausgerechnet aus meinem Schoß wiedergeboren würde, hatte damals schon gegrübelt und auch nachher, mit einem Bauch wie ein Fass, als Liegen nur auf dem Rücken möglich war und dieses kleine Mädchen in meinem Inneren ausschlug, als wollte sie sagen: Nun mach schon und warte nicht einen weiteren Morgen ab, weil es nie so unerträglich sein wird, als dass du es nicht wieder aufschieben
könntest. Und dann die ganzen folgenden Jahre. In meinen Eingeweiden wälzte sich eine Kugel, schwer wie meine unabwendbare Entscheidung, hin und her, und genau darum ging es. Ich konnte mich nicht aufschwingen, ich wollte nicht neuerlich in Unsicherheit leben, und eine andere Arbeit als die mit den Männern hatte ich nicht, und ich werde nicht sagen, dass es schlimm war, die Menschen tun weit schlimmere Dinge, und kaum jemand hat sich so abgemüht wie ich. Wegen nichts. Eines Mädchens wegen, das dachte, sie mit ihren sechzehn Jahren könne mir etwas erklären.
Anfangs sagte ich mir, das wäre so was Heißblütiges, was bis zum Morgen wieder verraucht wäre, und am nächsten Tag hätte ich sie wieder zurück. Aber sie kam auch am dritten Tag nicht und auch nicht am vierten.
Nara sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, mich regte ihre Ruhe aber nur auf. Ich brauchte eine andere Art Trost, ich wollte hören, dass ich nichts dafür konnte, aber was wäre eine derartige Versicherung von einem Puffmädchen schon wert. Was hätte sie schon sagen können. In ihren Kopf passte nichts als Männer, und etwas anderes zu diskutieren, hätte sie überfordert.
Ich erzählte ihr, wir hätten uns gestritten, weil Dolgorma erklärt hatte, niemand würde sie je mehr in die Roten Berge kriegen.
Naras Gesicht verzog sich, ihr Lachen war von Raucherhusten begleitet. Das war was für sie. Ich ertrug anschließend eine Stunde lang den Wasserfall von Naras gut gemeinten Ratschlägen, ich solle Verständnis haben für meine Kleine und mir an Dolgormas Stelle mich selbst vorstellen.
Ich war außer mir, ich hatte Nara nicht derart belügen wollen.
Dolgorma blieb fast ein Jahr lang fort. Während dieser Zeit wurde eine alte Frau aus mir. Hatte ich vorher das Gefühl gehabt, kaum jemand würde sich mehr nach mir umdrehen,
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