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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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hat Dzaja ihre Portion fast nie.
    Sie wusste nicht, wie viel sie bewältigen konnte.
    Für mich steht außer Zweifel, dass sie sich in der Stadt ebenfalls ein paar Rempler eingehandelt hat. Die aber von anderen, härteren Fäusten ausgeteilt wurden und die mir Dzaja verschweigt.
    Es genügt, dass sie ein Kind ohne einen Mann hat.
    Wer würde sich auch, nebenbei bemerkt, mit Schmerzen wohin wenden, wo er kein Mitleid zu erwarten hat? Dafür kennen wir uns schon zu gut. Ich bemühe mich, nett zu sein. Wenn Dzaja einfach ums Ger herumlungert, als sähe sie nicht, in wie vielen Töpfen Reste vertrocknen, schweige ich. Wenn sie am Morgen lange schläft, als wäre die Sonne, die mir mit einem Messer die Lider durchschneidet, der Mond einer tiefsten Winternacht, ziehe ich ihr den hinuntergerutschten Zipfel der Decke zum Hals hoch und gehe meiner Wege. Ich schimpfe nicht mit ihr, und was sich manchmal von meinen Augen ablesen lässt, ist weit entfernt von der Verachtung, deren mich ihre Dolgorma beschuldigte. Den ganzen Tag vor dem Ger hocken, mit glasigen Augen die Berge anzustarren oder leise mit dem Mund zu mahlen ohne ein einziges Wort, das ist nicht das Alter einer anständigen Frau.
    Ich sagte ihr nie, sie sei eine Schmarotzerin. Sagte ihr nie, Dolgorma sei eine Dzalchuu, ein rücksichtsloses Mädchen,
das nie jemand zu etwas angehalten hat. Ich sagte ihr nie, wie stark man ihr anmerkt, dass ihr ein Mann wie mein Najma fehlt. Dzaja hatte geglaubt, sie könnte sich mit nackten Händen aus dem Schlamm von Ulan Bator eine Burchanfigur zusammenmodeln. Jemand würde seine Säcke abstellen, um die Hände auszubreiten und ein Mädchen zu umarmen, das das heimatliche Ger verließ, um, wohl ihrer chinesischen Schlitzaugen wegen, in der Stadt unter Tausenden vom Glück auserwählt zu werden oder was.
    Wie viele glitschige, mit einem dünnen Häutchen überzogene Lämmlein sind während all dieser Frühlinge durch meine Finger gegangen. Dutzende Winter und Dutzende von den ersten Schneegestöbern im Herbst gingen in den Roten Bergen vorüber, bis die Büschel bleichen Grases, farbloser Halme wie die ersten schüchternen Barthaare eines Mannes, wieder grün wurden, und immer war sie fort.
    Während Dzaja in der Stadt die ganze Zeit die niederen Arbeiten zugewanderter Landfrauen verrichtete, wurde ich zur Gattin und zu einer Frau, mit der man rechnete. Mama hielt mich kurz und gönnte mir keinen Moment Ruhe.
    Frauenfinger müssen von früh bis spät mit Essschalen hantieren, Kindergesichter berühren, Teig ansetzen oder schwieligen Männerhänden helfen. Das predige ich tagtäglich meinen Mädchen. Papa sagte, Mamas Hände wären nie säumig gewesen. Und das Erste, was ihm bei Mama aufgefallen wäre, waren genau diese nie ruhenden, herumflatternden Schwingen. Diese Frau will ich, sagte sich Papa damals angeblich, und Mama wünschte sich, ein braver Mann würde das Gleiche von mir sagen.
    Am Abend fühlte ich mich manchmal auch schon in meiner Jugend erschöpft. Meine Beine schwollen vor Müdigkeit
an, und die Finger an meinen Händen waren so schwach, dass ich damit nicht einmal Welpen tragen konnte. Mama und Papa schliefen damals noch gut und fest und waren, kaum dass sie lagen, hinüber. Außer ihnen befand sich niemand im Ger, und in mir kochte es. Ich dachte an den Himmel, der über der Stadt angeblich auch während der Nacht hell ist und vor Farben, die es nur in der Stadt gibt, sprüht, und an die Sterne, die dort in dem gelblichen Schein verschwinden, der aus den Häusern dringt, und zusammen mit den Straßenlampen erlöschen.
    Der schwarze Schlund der Rauchöffnung in unserem Ger wurde mir zuwider, ein Rachen, der feindselig war und in dem die Sterne gegenüber den Lichtern in den Straßen so nichtig wirkten wie kleine goldene Tropfen.
    Mir war ohne meine Schwestern zum Weinen zu Mute, aber auch ihre Gesichter waren in meinen Gedanken von Tränen überströmt.
    Ein böses Ende zu nehmen ist leicht in der Stadt. Dessen war Papa sich sicher. Mama sagte damals, es würde mich bald einer holen kommen und auf Händen tragen.

    Ich wusste, dass er es wert war. Mamas Ermahnungen nämlich und die Träume von Dzajas und Naras glitzerndem Leben, das hinter den Bergen lag und von dem kein einziges kleines Irrlicht bis hierher drang. Ich dachte über die Stadt gar nicht ernsthaft nach. Nur meine Träume wurden dadurch bunt. Häuser wie in der Stadt waren in ihnen in großen Entfernungen über die Steppe verstreut, so wie Jurten, und

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