Kurzgayschichten
sie wirft einen knappen Blick zu Wolf.
„Gut, wenn wir schon mal beim Thema wären, möchte ich, dass du den Jungen neben dir küsst und zwar richtig, mit Zunge!“ Sie zeigt genau auf mich.
Leon ist ehrlich geschockt und ich wäre am liebsten schreiend aus dem Raum gelaufen. Ich habe geahnt, dass irgendetwas Katastrophales passieren wird, aber dass es gleich so dicke kommt! Gut, ich wünsche mir nichts mehr als von Leon geküsst zu werden, aber doch nicht als Pflicht eines dämlichen Kinderspiels! Ich hätte heulen können.
„Was ist die Ausweichpflicht?“ Leon wirft dem Mädchen einen verzweifelten Blick zu.
Sie scheint kurz zu überlegen.
„Zieh dich nackt aus und sing YMCA!“
Leon schluckt und scheint abzuwägen, dreht sich dann ganz langsam zu mir. Ich will den Kopf schütteln, davon laufen, schreien, irgendwas, aber ich kann mich nicht rühren. Mein Herz droht meinen Brustkorb zu sprengen.
„Sorry Pete ...“, presst Leon noch hervor, dann umfängt er mein Gesicht mit beiden Händen.
Meine Lippen zittern unkontrolliert. Ich will nichts mehr als das und nichts weniger.
„Denk dran mit Zunge!“, kommt es noch grinsend aus der Ecke, dann spüre ich Leons Lippen auf meinen und seine Zunge in meinem Mundinneren.
Es ist berauschend, als würde ein riesiges Feuerwerk in mir entzündet, das sich bis in meinen Unterleib ausbreitet und dort zu explodieren scheint.
Ich blende alles um mich herum aus, genieße meinen ersten Kuss.
Als der Druck von meinen Lippen verschwindet und ich die Augen leicht öffne, sehe ich in das entsetzte Gesicht meines Freundes. Leon mustert mich angewidert und ich vernehme das Gelächter der anderen um mich herum. Ich folge verzweifelt Leons Blick und bemerke die Beule in meiner Hose.
NEIN!
Ich sehe wie Leons Lippen ein Wort formen.
„S. c. h. w. u. c. h. t. e. l!“
„Der Typ ist ein Homo!“, kommt es von irgendwem und ein anderer bezeichnet mich als notgeile schwule Sau.
Ich spüre, wie mir die Tränen kommen und springe auf, renne aus dem Zimmer. Im Flur renne ich fast Mick in die Arme. Er sieht mich fragend und entsetzt zugleich an, doch ich beachte ihn nicht weiter, presche an ihm vorbei, vergesse meine Jacke und lasse das Fahrrad, wo es ist.
Ich laufe einfach ziellos die Straße hinunter. Die Tränen machen es mir fast unmöglich klar zu sehen und so stolpere ich einige Male bis ich mich schließlich an eine Häuserwand hinabsinken lasse und haltlos schluchze.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, fluche ich immer wieder vor mich hin.
Meine neue Hose ist dreckig und meine Augen brennen. Ich weiß nicht, was ich zuerst fühlen oder denken soll. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und es ist so, als hätte jemand mein Herz herausgerissen, es genüsslich geteilt und es dann breitgetreten wie eine faulige Frucht.
Ich wische mir mit dem Ärmel übers Gesicht, es ist schrecklich kalt ohne Jacke und bis nach Hause ist es noch ein gutes Stück. Ich bleibe einfach sitzen und vergehe in meinem Weltschmerz. Ein tolles Coming-out, genau wie ich es mir immer vorgestellt habe!
Ich schlage mit der Faust gegen den Häuserputz und ziehe die Hand dann schmerzerfüllt zurück, verziehe das Gesicht beim Anblick der aufgerissenen Haut.
„Alles scheiße!“, schreie ich und mache mich dann auf, gehe die lange Straße hinunter, mein Zuhause ist schon fast zu sehen.
Als ich endlich ankomme, sehe ich, dass noch Licht im Wohnzimmer brennt, meine Eltern sind also noch wach. Natürlich, es ist ja auch erst kurz nach neun.
Ich schließe mit zittrigen Fingern die Tür auf und mir kommt eine wahnwitzige Idee. Wenn dieser Abend schon beschissen ist, dann werde ich dafür sorgen, dass dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufgesetzt wird.
Ich öffne die Wohnzimmertür und meine Mutter sieht von ihrem Strickschal auf, auch mein Vater lässt das Fußballspiel Fußballspiel sein. Meine Mutter mustert mich entsetzt und mein Vater fragt knapp, warum ich schon wieder da bin.
Ich hole tief Luft und sehe dann abwechselnd meine Eltern an. „Mom, Dad, ich bin schwul!“
Meine Mutter weitet verblüfft die Augen und mein Vater tut es als Scherz ab.
„Ich meine es ernst!“, schreie ich und mein Vater sieht nun ebenso geschockt aus, er scheint mir zu glauben.
„A-Aber Liebling ...“, beginnt meine Mutter und stoppt mitten im Satz.
„Mach dir keine Sorgen, Janette, das ist nur eine Phase, das gibt sich wieder, weißt du noch, als er unbedingt dieses Dreirad wollte ...“, beginnt er im
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