Kuss der Sünde (German Edition)
der unerhörten Vorstellung hinzugeben, dass Juliette einen Mann in ihrem Zimmer empfing und was dort geschah.
„Möglicherweise war es nicht Monsieur Duprey“, gestand das Nesthäkchen ein und setzte sich auf. „Aber es ändert nichts daran, dass ich jemanden ges e hen habe.“
Das trotzige Beharren brachte Viviane zunehmend gegen sie auf. Bisher ha t te sie erfolgreich vermieden, zu viel über Juliette und ihre Sperenzchen nac h zudenken. „Wann genau hast du ihn gesehen?“
„Es war noch nicht richtig hell. Ich habe den Nachttopf benutzt, und als ich danach an das Fenster trat, sah ich ihn in den Garten springen.“
„Du warst demnach gar nicht richtig wach. Du warst völlig verschlafen und hast am Ende mit offenen Augen geträumt.“
Pauline öffnete den Mund, um Einspruch zu erheben.
Sie ließ es nicht dazu kommen und fuhr fort. „Wer weiß schon, ob der Mann ausgerechnet aus Juliettes Fenster gesprungen ist! Du kannst dir dessen nicht sicher sein. Vielleicht ist er lediglich in den Garten eingedrungen. Unb e fugt zwar, aber dennoch ist das etwas ganz anderes, nicht wahr?“
„Aber ich habe genau ges…“
Pauline wurde von ihrer Mutter unterbrochen, die in das Zimmer trat. Das ungekämmte Haar fiel lockig über ihren Rücken. Zum ersten Mal entdeckte Viviane vereinzelte graue Strähnen, die sie sonst unter der Perücke verbarg. Der erste Blick der Marquise galt ihrer jüngsten Tochter, die die Knie angez o gen hatte.
„Hast du etwa geweint, Kind? Ach, in diesem Haus nehmen die Tränen kein Ende. Wenn das so weitergeht, werden wir darin noch ertrinken. Es muss ein Ende haben, denn ich ertrage es nicht länger. Wir müssen wieder am Leben teilhaben, alle miteinander. Es soll wieder Freude einkehren in dieses Haus . “ Sie klatschte in die Hände. „Noch diesen Sommer werden wir Hochzeit fe i ern!“
„Soll Juliette etwa heiraten?“, fragte Pauline und vergaß ihren Kummer.
„Nicht doch. Es ist Viviane, die heiraten wird.“ Das rührselige Lächeln ihrer Mutter erinnerte an eine alternde Madonna. „Thibaut de Casserolles ist eine ausgezeichnete Partie, und dir über alle Maße ergeben, Viviane. Er hat gestern um die Erlaubnis gebeten, dir einen Antrag machen zu dürfen.“
Sprachlos starrte sie ihre Mutter an.
Pauline schwang sich zu ihrer Verteidigung auf und legte die Arme um sie. „Viviane liebt aber den fetten Casserolles überhaupt nicht!“
„Eine Ehe und die Liebe haben nur wenig gemein, Pauline. Außerdem ve r biete ich dir, den Chevalier fett zu nennen. Er ist von stattlicher Statur. Ja, sehr stattlich.“
„Trotzdem …“
„ Die Heiratspläne deiner Schwester werde ich nicht mit dir erörtern, Kind. Wenn das Lesen romantischer Lektüre dazu führt, dass du die Realitäten des Lebens darüber vergisst, werde ich nicht erlauben, dass du sie weiterhin liest.“ Sie hob den Zeigefinger. „Seit Jahren habe ich meinen Töchtern nahezubri n gen versucht, worum es ihm Leben einer Frau geht. Ich werde dir nicht erla u ben, dich in alberne Tagträume über heldenhafte Ritter zu versteigern. Vivi a ne, du musst dich umkleiden.“
Viviane sah an sich h in ab . Sie trug ein pastellblaues, bequemes Hauskleid und darunter nur ihr e Chemise. Mehr und mehr nahm sie die Gewoh n heiten ihres Elternhauses an, in dem man sich nur gebührend ankleidete, wenn B e suchstag war oder sie das Haus verließen. Zu solchen Anlässen besaß sie T a geskleider und Abendroben und zwei Perücken, in denen Miniaturschif f chen und winz i ge Schäferhütten Platz fanden. Erst vor einer Woche hatte sie sogar im Ka r tenspiel gewonnen und so hastig ihren Gewinn eingestrichen, dass einige Münzen ihrer Nachbarin, einer ältlichen Dame, mit hineing e rutscht waren, ohne dass diese es mitbekommen hatte.
„Was sagt Papa zu dem Vorhaben von Monsieur de Casserolles?“, ächzte sie schwach.
„Dein Vater sagt in letzter Zeit recht wenig, wie du selbst weißt. Er ist b e schäftigt, was nicht bedeutet, dass dein Glück ihm nicht am Herzen liegt. Ich bin überzeugt, dass Casserolles einen beträchtlichen Beitrag zu deinem Glück leisten wird. Er ist ein so rücksichtsvoller Mann. Er verehrt dich. Und nun wartet er unten auf dich. Ich habe ihm zugestanden, dich unter vier Augen zu sprechen. Sei recht freundlich zu ihm, ja? Er ist ganz aufgelöst vor lauter Au f regung . “ Marianne lachte auf. „Es sieht ganz so aus, als wäre es sein erster Antrag. Nun, dies ist ein Freudentag nach diesem schrecklich
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