Kuss des Apollo
denn bei diesen Angebern auf Sylt. Die Reichen und die Schönen, nicht wahr, so heißt es doch immer.«
»Weiß ich nicht. Die Leute auf Sylt sind nicht schöner und reicher als anderswo. Meist laufen sie in Hosen und Pullovern herum. Und möglicherweise hat der eine oder andere genug Geld, um sich eine Seezunge leisten zu können. Es gibt aber auch, beispielsweise bei Blum, leckere Fischbrötchen zu kaufen. Oder bei Gosch. Und da die guten Absatz finden, ernähren sich auf der Insel auch Leute, die nicht besonders reich sind.«
»Ein schöner Satz«, lobte Sebastian. »Bekomme ich direkt Lust, auch mal hinzufahren.«
»Soll das heißen, Sie waren noch nicht auf Sylt, Herr Klose?«
»Stellen Sie sich vor, war ich nicht. Dafür kenne ich Sardinien, Korsika, Ischia, Capri und jede Menge griechische Inseln.«
»Genügt ja. Lassen Sie es mit Sylt lieber bleiben. Ich bin jedenfalls am liebsten dort, und ich hoffe, es wird Geraldine auch gefallen.«
Alexander sprach nicht von seiner Großmutter, nicht von dem Haus in Keitum, das seine zweite Heimat war.
»Na, ich sehe schon, das gehört offenbar zu den Dreharbeiten. Mit Burckhardt war es eine Hochzeitsreise nach Venedig, diesmal kommt Sylt dran. Wohin wirst du denn mit mir fahren, Geri, wenn wir unseren nächsten Film abgedreht haben?«
»Du warst ja schon mit mir auf Hochzeitsreise«, sagte Geraldine locker. »Ganz ohne Film. Außerdem ist jetzt mal Challier dran.«
»Ich dachte, das hattet ihr schon.«
Alexander zog verärgert die Brauen hoch. Dieses Gespräch gefiel ihm nicht. Und er wollte Klose möglichst schnell loswerden.
Geraldine blickte von einem zum anderen, sie wäre am liebsten beide losgeworden.
Sie trank ihren Whisky aus und sagte: »Also dann werde ich mich mal anziehen.«
»Wird auch höchste Zeit. Ich habe für uns einen Tisch bestellt.« Was nicht stimmte, er sagte es nur, um voranzukommen.
Sebastian fragte: »Wo?«
Und Alexander antwortete: »Wird nicht verraten. Ist mein geheimes Speziallokal.«
Sebastian lachte wieder.
»Ich sehe schon, Sie wollen mich loswerden, Herr Frobenius. Also dann gehe ich. Geri, ich erzähl dir in den nächsten Tagen mal von meinen Plänen.«
Geraldine verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Sollten sich die zwei doch anblödeln.
Sebastian sah ihr nach, machte auf einmal eine ernste Miene.
»Sie braucht dringend Erholung«, sagte Alexander, nur um nicht stumm mit dem Eindringling herumzusitzen.
»Ja, sie sieht wirklich schlecht aus. Und sie ist furchtbar dünn geworden.«
Alexander ersparte sich eine Antwort. Am liebsten hätte er gesagt: Verschwinden Sie, Herr Klose.
Denn auf ein Abendessen zu dritt hatte er keine Lust, die Stimmung war unfreundlich. Aber sang- und klanglos das Feld zu räumen, danach stand ihm nicht der Sinn.
Geraldine stand in ihrem Schlafzimmer und blickte hinaus auf die öde Schumannstraße. Was ihr jetzt im Kopf herumging, machte sie ganz traurig.
Die Erkenntnis, wie einsam sie war.
Angenommen, sie hätte ganz lässig sagen können: Nett, dass ihr gekommen seid, doch es tut mir Leid, ich habe heute Abend schon etwas vor, ich bin verabredet. Mit … mit … egal mit wem, das ging die beiden gar nichts an.
Tatsache war, dass sie gar nicht verabredet sein konnte. In diesem riesigen Berlin kannte sie keinen Menschen, gab es niemanden, mit dem sie sich hätte zum Abendessen treffen können.
Dabei kannte sie inzwischen eine Menge Leute vom Film und vom Fernsehen, Kollegen, Kameraleute, ja, das war’s. Bronski fiel ihr ein. Mit ihm könnte sie sich treffen. Wenn sie zurückginge ins Wohnzimmer und einfach sagte: Tut mir Leid, ich bin heute Abend mit Bronski verabredet. Aber sie wusste gar nicht, wo er war. Wenn er in Berlin wäre, hätte er sich ja vielleicht mal gemeldet. Die beiden in ihrem Wohnzimmer, die wussten es sicher. Also konnte sie sich nur blamieren.
Kein Freund, keine Freundin, keine Bekannten. Sie starrte hinaus auf die Straße, Tränen stiegen ihr in die Augen. Und ihren Vater hatte sie nun auch verloren.
Und er?
Er war auch nicht mehr da. Sie hatte ihn lange nicht gesehen. Würde ihn möglicherweise nie wieder sehen. Darum sah sie so hässlich aus, sie brauchte nur in den Spiegel zu blicken. Sie musste sich zurechtmachen, wenn sie ausgehen wollte, egal mit wem.
Aber sie wollte gar nicht ausgehen. Die sollten beide verschwinden, sie blieb am liebsten allein zu Hause. Und das würde sie ihnen jetzt klarmachen.
Sie tupfte die Tränen aus den Augenwinkeln,
Weitere Kostenlose Bücher