Kuss des Feuers
Handschuhe entreißen, um dem Mann damit einen Schlag zu versetzen. Etwas Wildes, Animalisches blitzte kurz in Archers Augen auf, um dann gleich wieder zu verlöschen. Sein Blick kehrte zu McKinnons Gesicht zurück. Beide Männer wurden gefährlich ruhig, und sie wollte schon aufspringen und zwischen die beiden gehen, damit Archer nicht gezwungen war zu handeln. Doch dann setzte McKinnon seinen Hut auf und schlüpfte an ihm vorbei.
»Einen schönen Abend noch«, rief er fröhlich aus der Halle.
Die Tür knallte hinter ihm zu, dann breitete sich Stille aus.
»Archer.« Ihre Stimme war ganz rau.
Er sah sie lange an. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, seine Augen funkelten wie Sterne, dann drehte er sich um und ging.
Archer war verschwunden, als hätte er sich aufgelöst. Gähnend leere Räume starrten sie an, und so ging Miranda auf die Treppe zu, als Eulas Stimme sie aufhielt.
»Der Prinz der Finsternis ist im Treibhaus.«
Miranda verharrte mit einer Hand auf dem Treppenpfosten. Treibhaus? Bei all ihren Gängen durch das Haus war sie nie auf ein Treibhaus gestoßen. Die Haushälterin bemerkte ihre Verwirrung und schnaubte. »Nehmen Sie die Hintertreppe nach oben. Dann finden Sie es.«
»Eula.« Miranda musste ein Lächeln unterdrücken. »Sie helfen mir? Ich bin gerührt.«
»Papperlapapp.« Eula stapfte davon und scheuchte Miranda weg, als wäre die ein Insekt. »Entweder sage ich Ihnen, wo er ist, oder Sie laufen Amok und bringen mir das ganze Haus durcheinander.«
Die schmale Hintertreppe ging über vier Stockwerke, und die Luft wurde immer stickiger und wärmer, je höher sie kam. Oben stand sie vor einer geschlossenen schwarzen Tür. Langsam drehte sie den Knauf und gelangte in eine Welt voller Grün und mit der Wärme des Sommers.
Über ihr wölbte sich der schwarze Himmel, der von Scheiben ferngehalten wurde, die in ein Gitter aus weiß lackierten Stäben eingefasst waren. Das Treibhaus erstreckte sich über die ganze Länge des Hauses und beherbergte einen höhlenartigen Dschungel aus hängenden Farnen, duftenden Orangen- und Zitronenbäumen und Büschen samtiger Rosen. Überall waren Rosen, in allen nur denkbaren Farbschattierungen.
Gaslichter zischten in der Stille und spiegelten sich in den Scheiben wider. Als sie weiterging und eine eiserne Chaiselongue passierte, hüllte feuchte Luft sie in einen nach Rosen duftenden Kuss. Sie vernahm das Schleifen eines Schuhs über den Boden und bog um eine Ecke.
Archer stand vor einem Arbeitstisch mit Marmorplatte und füllte mit geschickten Bewegungen einen großen Topf mit Erde. Knapp unter dem elegant geschwungenen Kiefer konnte man seinen Puls deutlich schlagen sehen. Dieser sichtbare Ausdruck des Lebens, sein Hals, der sich bewegte, als er schluckte, ließ ein Beben durch sie hindurchgehen.
Wie er atmete, die ihm eigene Art, den Kopf zu halten, wenn er sich vorbeugte – all das war ihr jetzt so vertraut wie ihr eigenes Spiegelbild. Mehr auch, weil sie nicht müde wurde, ihn zu betrachten. War dieser Mann, der da vor ihr stand, unsterblich? Das konnte nicht sein. So etwas kam nur in Legenden vor. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Wenn es aus irgendeinem verrückten Grund doch stimmte, würde sie ihn zurücklassen. Denn sie war auf jeden Fall sterblich.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu, blieb aber abrupt stehen, als sie die eingetopfte Rose auf dem Arbeitstisch sah. »Ach, du meine Güte.« Ihr stockte der Atem. Die Pflanze war ganz entzückend – so weiß, dass sie im trüben Licht fast durchsichtig wirkte. Silberne Adern durchzogen die Blütenblätter und reichten bis zu den Spitzen. Diese Pracht stand ganz allein in einem kleinen Topf. »Sie ist herrlich«, sagte sie.
Archer neigte den Kopf ein wenig. »Du würdest anders darüber denken, wärest du eine Rose. Wenn ich sie mit anderen Rosen eintopfe, nimmt sie denen alle Nährstoffe. Innerhalb von Stunden würden sie welken, nur damit die silberne Rose Kraft bekommt.«
Miranda wollte sie anfassen, doch aus Vorsicht hielt sie plötzlich inne. »Wenn sie für die anderen so tödlich ist, warum behältst du sie dann?«
Archer war tapferer als sie und streckte die Hand aus, um den silbern schimmernden Rand eines Blütenblattes zu berühren. »Wohl aus Sentimentalität.« In seiner Stimme schwang etwas mit, das ihr die Brust zuschnürte.
»Sie hat nur eine Blüte?« Dunkelgrüne Blätter umgaben die Blume wie ein Mantel.
»Sie kann nicht mehr als eine Blüte auf einmal
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