L wie Leiche

Offen
gesagt, erwarteten wir gar nicht, Melanie dort zu finden. Ich rechnete eher
damit, daß die beiden noch oben im Blockhaus seien und Broderick
idiotischerweise einen erfolgreichen Versöhnungsversuch unternommen habe .«
    »Es
fällt Ihnen kein Grund ein, weshalb jemand Ihren Bruder gern tot gesehen haben
könnte ?«
    »Nein.
Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt, Mr. Boyd .«
    »Nun
gut.« Ich stand auf. »Dann bedanke ich mich jedenfalls für den Whisky .«
    »Sie
wollen uns schon verlassen, Mr. Boyd ?« fragte Sarah.
    »Weder
Sie noch Melanie sind mir eine Hilfe gewesen«, versetzte ich. »Deshalb werde
ich mich woanders umsehen müssen .«
    »Gut,
daß Sie mich daran erinnern, Mr. Boyd«, sagte sie. »Ich bin überzeugt, die
Polizei ist sehr wohl imstande, den Mörder meines Bruders ausfindig zu machen.
Der Name Rigby wird hoch respektiert in Santo Bahia, und ich werde nicht
dulden, daß er durch einen schmierigen, kleinen Schlüssellochgucker wie Sie in
den Schmutz gezogen wird. Sie lassen ab sofort die Finger von der Sache, Mr.
Boyd. Das heißt, sofern Sie Wert darauf legen, weiter hier zu leben .«
    »Drohen
Sie mir, Miss Rigby ?« erkundigte ich mich höflich.
    »Allerdings«,
entgegnete sie. »Die Untersuchung des Falles kann getrost Captain Schell und
seinen Leuten überlassen werden. Ich habe volles Vertrauen zur Polizei. Ihnen
schlage ich vor, sich von jetzt an auf Scheidungsgründe zu konzentrieren oder
was Sie sonst an besonderen Spezialitäten haben mögen, Mr. Boyd .«
    »Und
wenn ich das nicht tue?«
    »Werden
Ihnen eine ganze Reihe häßlicher Unfälle zustoßen, alter Knabe«, ließ sich
Shanks beiläufig vernehmen. »Und niemand in Santo Bahia — einschließlich Schell — wird glauben, daß es mehr als Unfälle sind .«
    »Ich
bin geschmeichelt«, erwiderte ich. »Sie sind also bereits durch mich so
beunruhigt ?«
    »Ich
bin nur beunruhigt wegen unseres Namens und des Rufs unserer Familie«, erklärte
Sarah Rigby. »Lassen Sie die Sache fallen, und wer weiß? Vielleicht genießen
Sie ein langes, glückliches Leben in Santo Bahia .«
    »Sie
scheinen beide ein sehr gesundes Selbstbewußtsein zu besitzen«, sagte ich
kopfschüttelnd. »Ich meine, gar nichts zum Versüßen ?«
    »Zum
Versüßen ?« wiederholte sie verständnislos.
    »Ich
nehme an, er geht von seinen üblichen Erfahrungen aus«, ergriff Shanks das
Wort. »Er redet von einer Bestechungssumme .«
    »Es
besteht keine Veranlassung für eine Bestechungssumme. Das kann ich Ihnen
versichern, Mr. Boyd .« Sarah Rigby bedachte mich mit
einem dünnen Lächeln. »Aber es gibt hundert Möglichkeiten, Ihnen das Leben hier
unerträglich zu machen, wenn Sie es unbedingt so haben wollen .«
    »Noch
eine Frage, bevor ich gehe«, sagte ich in verbindlichem Ton. »Wie ich gehört
habe, bestand zwischen Ihnen und Ihrem Bruder ein besonders enges Verhältnis.
So eng, daß es schon als eine Ehe für sich betrachtet werden konnte. Stimmt
das, Miss Rigby ?«
    »Hinaus!«
Ihr Gesicht war kalkweiß. »Verschwinden Sie! Haben Sie mich verstanden ?« Ihre Augen bekamen einen glasigen Ausdruck, während sie
mich anstarrte. »Sie mieser, dreckiger, kleiner Halunke! Ich werde... ich
werde... Hinaus!«
    »Ich
werde dafür sorgen, daß er verschwindet. Und zwar auf der Stelle«, erklärte
Shanks entschlossen.
    Die
alten Weisheiten sind immer noch die verläßlichsten .
Zum Beispiel, Angriff ist die beste Verteidigung. Deshalb reagierte ich schnell
und überraschte ihn, als er sich erst halb aus seinem Sessel erhoben hatte und
völlig hilflos war. Ich bohrte ihm meine rechte Faust tief in den Solarplexus
und brachte dann, während er vornübersackte , mein
Knie mit einem kräftigen Stoß in sein Gesicht. Er wurde in den Sessel
zurückgeschleudert, aus seiner Nase strömte Blut, und ich nützte die Chance, um
ihm genau zwischen die Augen zu schlagen. Damit war sein Interesse für mich
erloschen.
    Ich
wandte mich gerade noch rechtzeitig nach hinten, um zu sehen, wie Sarah Rigby mit zornfunkelnden Augen und krallenförmig erhobenen
Händen auf mich zugestürzt kam. Da ich mich nicht in der Stimmung für eine
Auseinandersetzung mit ihr befand, und sie mir ohnehin nicht zugehört hätte,
ließ ich sie einfach nahe genug herankommen und trat ihr dann nachdrücklich vor
das rechte Schienbein.
    Sie
stieß einen markerschütternden Schrei aus und begann dann in einem weiten Kreis
im Zimmer herumzuhüpfen wie eine Ente, die sich nicht zu einer Bruchlandung
entschließen