L wie Liquidator
E-Amt-Doktoren mußten während ihrer Dienstzeit nicht unbedingt in den Krankenhäusern verweilen. Tatsächlich befürworteten die entsprechenden Vorschriften sogar das Verlassen des Arbeitsplatzes, wenn die Betreffenden nicht gebraucht wurden – um auf diese Weise eine bessere emotionale Stabilität zu gewährleisten. Sie durften sich jedoch nur bis zu zehn Flugminuten entfernen. Wenn ihre Hilfe benötigt wurde, setzte sich man sich mit ihnen in Verbindung. Med-Nachrichten waren zwar recht selten, doch die ständige Erwartungshaltung bewirkte eine dumpfe und die Nerven belastende Besorgnis.
Timothy blickte auf das blaugrüne Wasser der Bucht, auf die da und dort sichtbaren Segelflecken, und wieder einmal grübelte er über das Problem nach. Ein ganz persönlicher Feind, dem er immer wieder gegenübergestellt wurde. Jedesmal. Keine Lösung. Nur die Konfrontation.
Welches Recht habe ich, das zu machen, was ich mache?
Sicher, der Paragraph 402A des Neunten Abschnitts des Strafrechts der Vereinigten Staaten gewährt zumindest einen theoretischen Trost: Von möglichen falschen Behandlungen einmal abgesehen genüge ich dem Gesetz. Aber wie sieht es mit der Moral aus? Wer entscheidet darüber?
Manche finden sich damit ab. Andere nicht. Wo stehe ich? Einmal kannte ich meinen Platz: vier Jahre an der medizinischen Fakultät des University College, zwei Jahre praktische Ausbildung, die psychologischen Prüfungen – und so weiter. Aber wo befinde ich mich jetzt, so viele Jahre und Patienten später?
Ich praktiziere – aber warum? Gewohnheit? Pflichtgefühl? Und wenn letzteres zutrifft: Pflichtgefühl wem gegenüber: den Patienten oder mir?
Nebel wallte vom Meer her kommend heran und trübte bereits das Licht der halb untergegangen Sonne. San Franciscos Nachtschmuck aus Lichtern begann zu schimmern. Der Glanz verstärkte sich, als der Helikopter tieferging. Das Krankenhaus war ein grauer Gebäudeblock im sich dunkelnden Dämmerlicht, ein irgendwie anonymer Buckel an der Ecke Market Street und Noe Valley. Trimble hatte inzwischen die Funksirene eingeschaltet, und die Luftpolizei hielt sie nicht auf, als der Hubschrauber mit hoher Geschwindigkeit durch die einzelnen Verkehrsebenen sank.
Nach und nach erweckte die Umgebung die Aufmerksamkeit Timothys, der sich daraufhin Mühe gab, die düsteren Gedanken und Vorstellungsbilder zu verdrängen. Aus dem Grau wurde helles Strahlen, als eine gähnende Öffnung in der einen Stahlwand den Helikopter verschluckte. Abrupt und etwas unsanft erfolgte die Landung. Türen öffneten sich zischend und schlossen sich hinter ihm wieder, während er durch Gänge und Korridore wanderte. Nun nahm er nicht mehr den Geruch von Kerosin und Öl wahr, sondern den von Sterilisierungsmitteln, der für Hospitäler so typisch ist. Die breiten und geradezu grell beleuchteten Passagen waren voller dahineilender Menschen.
Man könnte immer meinen, hier fände ein Rennen statt. Aber worum geht es dabei? Um das Leben oder den Tod? Oder – vielleicht – beides?
Trimble war in der Ambulanzgarage geblieben. Timothy fragte sich kurz, womit sich Chauffeure und Leibwächter beschäftigten, wenn sich die Ärzte um ihre Patienten kümmerten.
Die Leute in den Korridoren waren ihm alle fremd. Eine Barriere der Zweckbestimmung erhob sich zwischen ihm und dem betriebsamen Krankenhausuniversum. Ohne irgendwelche Grüße, die möglicherweise den dicken Panzer seiner Isolation hätten durchbrechen können, gelangte Timothy an die Sicherheitstür mit der Aufschrift E-DEP. Die bewaffneten Wächter zu beiden Seiten nickten. Sie kannten ihn. Trotzdem mußte er die Netzhaut seines rechten Auges von dem in der Wand installierten Retinaskop prüfen lassen, um passieren zu können.
Das Gerät gab ein bestätigendes Summen von sich, und die tresorartige Tür schwang auf. Timothy machte einen Schritt, den schwersten: über die Schwelle hinweg. Dann betrat er mit gespielter Selbstsicherheit das Vorzimmer. Hinter ihm schloß sich der Zugang wieder.
Wächter und dicker Stahl und Kontrollgeräte mit Waffen. Was für ein Wahn macht solche Dinge in einem Hospital notwendig? Aber sie sind es. Diese Instrumentalität dient nicht nur zur Abwehr des Phantoms, sondern auch dazu, uns vor denen zu schützen, die sich im Namen des Lebens zu dem Versuch hinreißen lassen könnten, uns umzubringen.
»Guten Abend, Daemon.« Miß Farber hob den Kopf und sah ihn von ihrem Konsolenpult aus an. »Wie geht es Ihnen?«
»Lausig. Ich dachte,
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