Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
schweren Schlag. Und da war ein Loch, gerade so groß wie ein Projektil.
Jeb konnte seinen Blick nicht von der verletzten Haut und dem rosigen Fleisch darunter abwenden. Er streckte seine Hand aus, zuckte aber, kurz bevor er Fernando berühren konnte, zurück.
Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, dass die Kugel ihn getroffen hatte! Wo zum Teufel war das Blut? Verwirrt starrte er León an, der ebenso mit aufgerissenen Augen die trockene Wunde betrachtete.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte Fernando nun, seine Stimme immer noch klar und ruhig.
Jeb fasste sich als Erster. »Jaja … wir sollten Sie zu einem Arzt bringen.«
»Nein, nein«, mischte sich Fernando ein. »Ich brauche keinen Arzt. Ich fühle mich gut, ich habe kaum Schmerzen. Außerdem ist meine Tochter Carmelita Krankenschwester. Keine gute zwar …« Er kicherte. »… aber sie wird mir helfen.«
»Wo wohnen Sie?«, fragte Jeb, der sich zwingen musste, den Blick in die Augen des Alten zu richten. Nicht auf seine wundersam durchlöcherte, aber fast unverletzt wirkende Schulter. Er hatte keine Schmerzen?
»Oh, nicht weit von hier.« Fernando lächelte und wies mit einem Arm in eine Richtung.
»Zeigen Sie uns den Weg und wir bringen Sie hin.«
»Gleich, Jungchen, lass mich erst zu Ende erzählen. Ihr wolltet doch alles über Pablo hören, richtig?«
Jeb und León wechselten einen Blick. Dann fragte León: »Was ist jetzt mit diesem Pablo?«
»Pablo Gonzales war ein ganz normaler Mann. Frau, zwei Kinder, arbeitete bei einer Autovermietung und ging sonntags brav zur Kirche. Ein Vorzeigeeinwanderer, wie die Gringos sagen würden.« Er seufzte. »Vor einer Woche wollte Pablo zur Arbeit fahren, als er von vier weißen Polizisten angehalten wurde. Einer der Beamten behauptete später, er habe nach einer unter seinem Sitz versteckten Waffe gegriffen, also erschossen sie ihn. Notwehr, hieß es. Pablo Gonzales wurde von siebzehn Kugeln durchsiebt. Er hatte so viele Löcher in seinem Körper, dass der Pathologe bei der Obduktion kaum noch Platz für sein Skalpell fand.« Fernando fuhr sich durch die Haare. »Das Problem bei der ganzen Geschichte war, Pablo hatte nie eine Waffe besessen, seine Frau beschwor es und was hätte er als kleiner Angestellter damit auch gewollt, aber im Fahrzeug wurde eine 38er gefunden. Geladen.«
Fernando schaute León und Jeb aufmerksam an, aufgeregt schon fast, als würde er später von ihnen hören wollen, wie ihnen die Geschichte gefallen hatte. Wie ein warmherziger Märchenonkel. Nicht wie einer, der gerade vom Militär angeschossen worden war.
»Nur woher kam das Ding?«, fuhr Fernando nun fort. »Die Polizei behauptete, es wäre seine Waffe, aber alle im Barrio kannten die Wahrheit. Vier weiße Cops hatten einen armen Mex abgeknallt. Einfach so. Weil er ein Greaser war, ein Latino. Vielleicht hat Gonzales sie beleidigt, was weiß ich, aber siebzehn Kugeln können keine Antwort darauf sein.«
»Und was geschah dann, wieso ist hier jetzt alles abgeriegelt? Wegen siebzehn Kugeln und einer untergejubelten Waffe?« Jeb kniff die Augen zusammen. Plötzlich kam ihm die Welt doch nicht mehr so vertraut vor wie noch vor ein paar Minuten. Wie lange waren sie überhaupt schon hier? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, er fühlte sich rastlos, er war durstig und er spürte, dass ihnen die Zeit davonlief.
»Menschen demonstrierten gegen die willkürliche Polizeigewalt. Dann brachen die ersten Unruhen aus. Autos wurden angezündet. Geschäfte geplündert. Zunächst versuchte die Polizei, sich noch zurückzuhalten, aber als eine Streife auf offener Straße gestoppt wurde und der Mob zwei Beamte zu Tode prügelte, da griff man zu drastischen Maßnahmen. Das Militär fuhr auf. Das Barrio wurde abgeriegelt. Der Ausnahmezustand ausgerufen. Seitdem schießen sie auf alles, was sich ihnen nähert oder versucht, das Viertel zu verlassen.«
León setzte zu einer Frage an, aber Fernando unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich bin noch nicht fertig.« Er räusperte sich. »Das alles war noch nicht das Schlimmste, denn nun sahen die Straßengangs ihre Stunde gekommen, alte Rechnungen zu begleichen. Harte Jungs wie dein Kumpel hier. Die Straßen wurden zu Schlachtfeldern. Es geht um Macht, Drogen und Geld. Viel Geld. Wer herrscht wo? Wer kontrolliert das Viertel? Aber nicht genug damit. Jetzt, da sie niemand aufhalten konnte, begann das Morden und Plündern. Geschäfte, aber auch Privatpersonen wurden ausgeraubt. Sie nahmen sich, was
Weitere Kostenlose Bücher