Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
sich deswegen keine Gedanken, Rhoda«, lallt Rose. »Ich bin ’ne erfahrene Heulsuse.« Sie nimmt noch einen Schluck. »Was ham Ihre Eltern gesagt?«
»Sie wollen mir helfen. Sie schicken ein bisschen Geld.«
»Gut.«
»Sie wollen, dass ich zurück nach England komme.«
»Und was wollen Sie?«
»Kann hier ja nicht ewig bleiben, oder?«
Sie reicht mir ein Glas. »Nun, es war sehr mutig von Ihnen, sie anzurufen. Cheers!«
Sie stößt klirrend mit mir an. Mein Kopf schwimmt schon ein bisschen, aber ich nehme einen Schluck. Purer Gin. Ich kippe ihn trotzdem hinunter.
»Superdupergut«, sagt Rose. »Trinken wir noch einen?«
»Yeah«, nicke ich. Der Alkohol steigt mir jetzt wirklich zu Kopf. »Warum nicht, zum Teufel?«
Rose fängt an zu lachen und ich stimme ein.
»In der Tat. Warum nicht, zum Teufel?«, ruft sie.
Und so findet Dan, als er nach Hause kommt, mich und seine Mutter im Wohnzimmer vor, wie wir zu ›Copacabana‹ tanzen, während die umgekippte Ginflasche ihre letzten mickrigen Reste auf den Teppich tropft.
Kapitel 26: DANIEL
Ach du Scheiße.
Schnell drücke ich mich an Rhoda und Mom vorbei, die ihre neue bescheuerte Seelenverwandtschaft oder was auch immer feiern, renne die Treppe hoch und knalle meine Zimmertür hinter mir zu. Mein Magen knurrt, aber jetzt kann ich wohl schlecht nach unten gehen, um den Kühlschrank zu plündern. Stattdessen zünde ich mir eine von Rhodas Zigaretten an. Ich stelle mich ans Fenster und blicke auf die Mauern und Gärten hinab. Das alte Paar von nebenan liegt im Garten vor seinem Pool in der Sonne. Die beiden sind runzlig und rot, und ich kann fast hören, wie der Krebs an ihrer altersfleckigen Haut knabbert.
Ich spiele in der Hosentasche mit Rhodas Messer herum. Was ist mit ihr geschehen? Oder ist das die wahre Rhoda? Sind ihre Ruppigkeit und ihre Wut nur eine Fassade gewesen, hinter der sich die langweilige Mittelschichttussi versteckt hielt?
Die beiden Lederleichen gegenüber drehen sich auf den Bauch, um auch ihre Rückseiten rösten zu lassen. Clarrie pisst gegen einen Busch hinter unserem Haus. So sieht er also aus: der Rest meines Lebens. Ich drücke die Zigarette auf dem Fensterbrett aus.
Ich stecke mein Portemonnaie und mein altes Handy ein – das tote Gel-Handy auf dem Nachtschrank wirkt wie ein schlaffer grauer Luftballon – und laufe zurück nach unten.
»Ich geh aus«, rufe ich ins Wohnzimmer.
»Aber du bis’ doch grade ers’ gekomm’.« Mom bemüht sich vergeblich, nicht zu lallen. Rhoda steht da und beobachtet uns unsicher. »Du musst was essen.«
Ich gehe zu Mom. Rhoda lasse ich links liegen – ich kann mich nicht gleichzeitig mit ihr und Mom befassen. Die beiden sollten nicht zur selben Zeit am selben Ort sein.
»Mom, ich liebe dich. Danke für alles, was du für mich getan hast.« Woher kam das denn jetzt? Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen, aber das schien mir in dem Moment genau das Richtige zu sein. Ich verschwinde, bevor sie etwas darauf erwidern kann.
Ich schlendere den Bürgersteig entlang, ohne zu wissen, wohin. Vor mir geht Florence, sie ist auf dem Weg zum Taxistand an der Sloane Street. Ich werfe einen Blick auf mein Handy: schon Viertel nach fünf. »Hallo, Mister Daniel«, sagt sie, als ich sie einhole. Jetzt, ohne ihren lavendelfarbenen Polyester-Hausmantel, wirkt sie anders, entspannter, und sie schenkt mir sogar die Andeutung eines Lächelns. Die Tatsache, dass ich auf dem Bürgersteig gehe – was in Bryanston nur Arbeiter tun –, scheint uns auf eine gemeinsame Ebene zu stellen, und für einen Moment bewohnen wir dieselbe Welt. Ich frage mich, was sie wohl von Rhoda hält, ob sie sich eher mit ihr verbunden fühlt, weil sie auch schwarz ist, oder ob Rhodas ausgefallene Kleidung und ihr englischer Akzent sie mehr zu einer von uns machen.
»Einen schönen Abend, Florence«, wünsche ich, und während ich es sage, wird mir bewusst, dass ich mir nie Gedanken darüber gemacht habe, wie Florence eigentlich lebt. Ich weiß, dass zwei erwachsene Kinder und ein Enkelkind bei ihr wohnen. Aber was macht sie, wenn sie nach Hause kommt? Wer kocht, wer macht sauber, wie viele Zimmer hat ihre Wohnung, hat sie einen Fernseher? Arbeiten ihre Kinder? Wer kümmert sich um das Baby? Ist sie zu Hause auch diese finstere, stille Frau oder singt sie dem Baby etwas vor? Erzählt sie Geschichten? Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie mit ihrer Familie an einem Tisch sitzt und lacht. Florence beginnt morgens um acht zu
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