Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
existieren und löst sich nachmittags um fünf in Luft auf. Und als ich an ihr vorbeigehe, verschwindet sie genauso schnell wieder aus meinen Gedanken.
Die Sonne sinkt in den Staub und die Abgase am Horizont färben den Himmel und die Wolkenfetzen rosa und orange; das, was noch blau ist, leuchtet phosphoreszierend. Ich bleibe stehen und beobachte, wie sich die Farben mischen und wie die Sonnenstrahlen und Wolken wandern. Am liebsten würde ich dieses Licht bewahren, es mit mir nehmen. Ich stehe auf dem Bürgersteig und ignoriere die vorbeirauschenden Luxuswagen, Taxis und Pickups – sie sind nur ein zischender Soundtrack zu der Lightshow über mir.
Als ich mich endlich aus meiner Trance reiße, merke ich, dass Rhodas Messer aufgeschnappt ist und mir den Zeigefinger angeritzt hat. Während ich weitergehe, nuckle ich an meinem Finger. Beim Geschmack des Blutes muss ich daran denken, wie ich Rhoda gestern geküsst habe. Ich erinnere mich daran, wie sich die Narben auf ihrem Rücken anfühlten. Ich möchte gerne glauben, dass sie noch immer gefährlich ist, dass sie keine Vorstadtprinzessin ist, die nur dafür lebt, Klamotten zu kaufen und sich mit alten Frauen zu betrinken.
Am Sloane Square gehe ich in eine Billardkneipe. So früh am Tag ist es noch ziemlich ruhig, nur ein paar Jungs spielen am Tisch direkt neben der Bar eine Partie, und in einem Zimmer über dem Schankraum spielt sich eine Rockband warm. Ich bestelle mir ein Bier und setze mich an den Tresen. Mein Blick wandert über den blinkenden Spielautomaten neben der Theke und die länglichen Biltong- Päckchen, die an einem rostigen Nagel in einem Stützbalken des Tresens hängen.
Bin ich das in 20 Jahren? Wie ich den eintönigen häuslichen Pflichten und meiner Familie entfliehe und in einer erbärmlichen Eckkneipe hocke, um zu trinken und mein Taschengeld auf den Kopf zu hauen? Die Vorstellung macht mir Angst. Habe ich verlernt, glücklich zu sein? Denn wenn ich ganz ehrlich sein soll, ist das alles, was ich will: glücklich sein. Das ist nicht besonders spektakulär, aber es ist die Wahrheit.
Ich hole Rhodas Messer aus der Tasche und ritze meinen Namen – Dan, nicht Daniel – in das Holz des Tresens. Der Barkeeper schleppt Bierkisten und bekommt meinen Vandalismus nicht mit. Am Himmel vor dem Fenster der Bar ist die Sonne inzwischen untergegangen und ein tiefes, staubiges Blau löst das psychedelische Farbspiel ab. Ich hinterlasse ein Andenken, einen Beweis, dass ich hier gewesen bin. Ich teste die Spitze der Klinge an meinem Finger, dann stecke ich das Messer wieder in die Tasche. Sauge das Blut auf, denke an Rhoda.
»Dan.«
Es ist Rhoda. Natürlich ist es Rhoda.
»Wie hast du mich gefunden?«
»Bin dir gefolgt, was denkst du denn?« Sie trägt Jeans, eins meiner schwarzen T-Shirts und ihre dreckigen Turnschuhe. Das ist viel besser als dieses Scheißkleid. Als sie auf den Hocker neben mir klettert, spannt sich der Jeansstoff um ihre Hüften und den Hintern. Ich winke dem Barkeeper, dass er uns zwei Bier bringen soll. Die Band oben gibt ein Feedback-Jaulen zum Besten. Ein Becken scheppert.
»Was ist los mit dir?«, fragt sie.
Der alte Dan würde winseln: Was ist los mit dir? Du bist es, die mich verraten hat. Blablabla. Aber mir ist jetzt nicht danach. Sie schuldet mir nichts. Sie hat mir nie etwas versprochen.
Ich zucke die Schultern.
»Bist du sauer, weil ich mich so gut mit deiner Mom vertrage?«
»Solange du nicht so wirst wie sie«, brumme ich.
»Was soll das denn heißen?«
»Du scheinst dich in Bryanston ziemlich wohl zu fühlen. Für eine Koksnutte.« Ich versuche, die Worte zurück in meinen Mund zu stopfen, aber es ist zu spät. Sie holt aus und verpasst mir den heftigsten Schlag in die Fresse, den ich mir je eingefangen habe. Heftiger als alle Schläge, die sie im Einkaufszentrum ausgeteilt hat. Ich stürze vom Barhocker und krache in zwei andere, unterwegs stoße ich mir den Hinterkopf und den Rücken. Ich lande platt auf meinen Schultern. Rhoda ist schon über mir, um mir die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, aber der Barkeeper hält sie fest.
»Aufhören!«, ruft er, aber es ist nicht zu übersehen, dass ihm dieses Spektakel, bei dem zur Abwechslung einmal eine Frau einen Kerl verprügelt, Spaß macht. Die Billardspieler glotzen uns an.
Und während die Schmerzen mir qualvoll durch Rücken, Hals und Kopf schießen, sehe ich Rhoda an und denke: Das ist schon eher wie sie. Ich liege da und sehe zu, wie sie sich in den Armen
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