Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
durch dieses Labyrinth gelatscht. Irgendwann müssen die Gänge doch enden.
»Wie zum Teufel kann es hier so viele Flure geben? Glaubst du, wir sind noch unter dem Einkaufszentrum?«, frage ich.
Dan zuckt nur die Schultern.
»Kannst du mir wenigstens antworten? Verdammt noch mal, wir könnten überall sein!«
»Du warst es doch, die unbedingt aus dem Raum wegwollte«, erwidert er.
»Sehr hilfreich, wirklich.«
»Wir hätten dableiben sollen.«
Mir reicht’s. Ich packe ihn am T-Shirt und drücke ihn gegen die Wand. Es kostet mich eine enorme Selbstbeherrschung, ihn nicht zu schlagen. »Dan, ich schwör bei Gott: Ich hab noch nie so einen beschissenen Jammerlappen wie dich gesehen!«
»Ach, leck mich doch!«, schreit er und stößt mich so heftig weg, dass ich zurückstolpere und mir an der gegenüberliegenden Wand das Steißbein prelle. Bevor ich seinen Arm packen kann, ist er um die nächste Ecke verschwunden.
»Arschloch!« Ich rapple mich auf und renne hinter ihm her, mitten durch eine trübe Pfütze hindurch. Ich flitze um die rechtwinklige Biegung, rutsche mit meinen feuchten Füßen über den Beton und knalle mit einer solchen Wucht gegen Dans Rücken, dass wir beide fast zu Boden stürzen.
»Was zur Hölle machst du ...«
»Sieh mal«, sagt er mit flacher Stimme.
Ach du Scheiße.
Wir sind mitten in die Überreste eines entsetzlichen blutlosen Massakers gestolpert. In dem engen Gang vor uns türmen sich unzählige nackte Frauenkörper. Es sind so viele Gliedmaßen und Torsos und haarlose Köpfe, dass man kaum erkennen kann, wo ein Körper endet und der andere anfängt. Diverse abgetrennte Körperteile verstreuen sich achtlos um den Haufen herum: hier ein Bein, nur einen halben Meter vor uns, dort eine Hand, die in die Richtung zu deuten scheint, aus der wir kommen – so als wolle sie uns warnen, bloß nicht weiterzugehen. Die Körper stapeln sich so wahllos übereinander, als hätte die Decke sie ausgekotzt, aber der Korridor ist an dieser Stelle mit stockfleckigen Deckenplatten verkleidet und es gibt auch keine Türen oder andere Öffnungen in den Wänden.
»Wie zum Teufel kommen die denn hierher?«, staune ich.
Dan antwortet nicht, aber er denkt wahrscheinlich dasselbe wie ich: Jemand hat sie absichtlich hier deponiert.
Nach allem, was ich weiß, könnten wir kilometerweit vom Einkaufszentrum entfernt sein. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass diese speziellen Schaufensterpuppen von Truworths oder einer der anderen Modeboutiquen benutzt werden. Irgendwas ist ... falsch an ihnen.
Es sind ihre Köpfe, die besonders verstörend wirken. Die meisten sind mit so etwas wie einem Torso verbunden, aber es liegen auch ein paar abgetrennte Häupter zwischen den Gliedmaßen. Aber ob nun geköpft oder nicht: Die Augen scheinen uns alle direkt anzustarren, wie auf diesen Porträts, deren Blick einem durch den ganzen Raum zu folgen scheint. Alle haben flache schwarze Pupillen und viel zu lange Wimpern, wie die Beine einer Wolfsspinne. Und im Gegensatz zu den leeren Gesichtern der Puppen mit vollen Lippen, die üblicherweise in den Schaufenstern überteuerten Müll anpreisen, lächelt keine von diesen hier. Mit ihren zu weit aufgerissenen Augen und den leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln blicken sie uns eher verzweifelt oder (wie ein Teil meines Kopfes hartnäckig behauptet) mitleidig an.
Die grausige Szene wird auch dadurch nicht gerade aufgeheitert, dass irgendjemand die üblichen Neonröhren gegen zwei nackte Glühbirnen ausgetauscht hat, die träge in entgegengesetzte Richtungen schwingen. Im einen Moment wird die Szene fast schon zu grell beleuchtet und mutet an wie das überdrehte Kunstprojekt einer Gruppe von Uni-Studenten, im nächsten ist es ein düsterer Albtraum aus verzerrten Gliedmaßen und künstlichem Leid.
»Mein Gott«, keucht Dan. »Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Ich habe sie für echt gehalten.«
Ich erspähe etwas am Ende des Korridors – ein vertrautes neongrünes Leuchten. Die Glühbirne schwingt zurück in diese Richtung.
Gott. Sei. Dank.
»Komm«, sage ich und nähere mich dem Leichenhaufen.
»Was hast du vor?«
»Drüberklettern. Was glaubst du denn?«
»Vergiss es! Lass uns zurückgehen.«
»Reiß dich zusammen und schau über die Plastiktitten hinaus, Dan. Wir sind gerettet.«
»Wie meinst du ...« Seine Stimme verklingt, als er das Notausgangsschild bemerkt.
Der Haufen kann nicht höher als maximal einen Meter sein, aber die Haut der Puppen ist
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