Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
schmutzige Lumpen gekleidet und mit verfilzten, klebrigen Dreadlocks, die ihm bis auf den Rücken reichen. Er sieht sich nervös um, dann schleicht er zu dem großen Mülleimer direkt neben der Tür. Er wühlt darin herum, holt eine Pappschachtel und einen XXL-Trinkbecher heraus und steckt sie in die Plastiktüte, die er dabeihat. Er murmelt vor sich hin, während er sich immer wieder umsieht wie ein Tier, das nach Fressfeinden Ausschau hält. Anders als diese roboterhafte Schwachsinnige hinter dem Verkaufstresen sieht er lebendig aus. Und seinen weit aufgerissenen Augen und zitternden Händen nach zu urteilen, hat er Angst. Sein Gesichtsausdruck spiegelt genau das wider, was ich empfinde. Und bizarrerweise beruhigt mich das.
Ich trete hinter dem Pappaufsteller hervor.
»Hi!«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. »Können Sie mir helfen?«
Er schaut auf, und unsere Blicke begegnen sich. Seine Kinnlade klappt herunter und gewährt mir einen Blick auf pelzige Zähne. Schnell stopft er die Griffe der Plastiktüte in seinen Gürtel, dann schlüpft er zurück durch die Türen, die sich mit einem Knirschen hinter ihm schließen.
Soll ich ihm folgen?
Nein!
Ich ignoriere die Stimme und gehe auf das Absperrseil zu. Plötzlich klammert sich etwas um mein Handgelenk. Ich verschlucke meinen Schrei, wirble herum und versuche, mich loszureißen. Eine alte Frau kniet neben mir, ihre knorrigen Finger bohren sich in mein Handgelenk.
»Was soll das? Lassen Sie los!«
Sie blickt zu mir hoch und grinst, präsentiert mir dabei ihr hölzernes Gebiss. »Ihre Eintrittskarte bitte, meine Liebe.«
Leck mich am Arsch! »Was?«
»Ihre Eintrittskarte bitte, meine Liebe.«
Ich versuche mich aus ihrem Griff zu befreien, aber sie ist stark. Mit meiner freien Hand biege ich ihren Zeigefinger brutal zurück, und schließlich lässt sie mich los. Ich muss ihr ziemlich wehgetan haben, aber sie lässt sich ihre Schmerzen nicht anmerken. Und – heilige Scheiße! An ihrem Fußknöchel hat sie eine Metallmanschette, von der eine Kette zu einem der Pfeiler führt. Und wieso habe ich sie vorher nicht gesehen?
Hat sich wahrscheinlich genau wie das Popcornmädchen zusammengerollt und auf Kundschaft gewartet.
Die Frau schüttelt gedankenverloren ihre verletzte Hand.
»Sind Sie okay?«, frage ich.
»Ich? Mir geht es gut. Perfekt.« Ihre Augen sind ebenso leer wie die der Popcornfrau. Womöglich noch leerer. Wie die Augen dieser Schaufensterpuppen, über die Dan und ich in den Katakomben klettern mussten. »Kann ich bitte Ihr Ticket sehen?«
»Ich habe keins.«
»Sie dürfen nicht hinter die roten Seile treten, wenn Sie keine Karte haben, meine Liebe«, erklärt sie mir. »Es sei denn, natürlich, Sie sind eine Shopperin. Sind Sie eine?«
Wovon zum Teufel redet sie? »Bitte! Ich muss ...«
»Der Kartenverkauf wird Ihnen mit Freuden eine Eintrittskarte verkaufen, meine Liebe.«
»Ich habe kein Geld.«
»Ihre Eintrittskarte bitte!«
»Ich habe keine Scheiß-Eintrittskarte!«
Etwas flackert in ihren Augen – ein Anzeichen von Leben –, doch sofort ist es wieder verschwunden.
»Was ist hier überhaupt los? Warum sind Sie angekettet?«
»Angekettet, meine Liebe?«
Jetzt bin ich mir sicher, dass sich ihr Gesichtsausdruck leicht verändert hat. »Helfen Sie mir!«, flehe ich sie an. »Bitte! Ich muss hier raus!«
»Ihre Eintrittskarte bitte.«
Rhoda, lass uns gehen. Zurück zum Parkdeck. Versuchen wir es. Gehen wir zurück zum Telefonladen. Diese Situation ist völlig verfahren.
Ich probiere es noch einmal mit Flehen. »Ich brauche dringend Hilfe.«
»Darf ich Ihre Eintrittskarte sehen?«
Es reicht. Ich habe genug. Meine Wut wächst immer mehr an und ich freue mich darüber. Ich hatte jetzt so lange Angst, dass ich jede andere Emotion als wahre Erleichterung empfinde. Ich trete einen Schritt vor, und sie huscht direkt in meinen Weg. Sie bewegt sich beunruhigend schnell auf Händen und Knien.
Rhoda! Mach jetzt keine Dummheiten!
Ich starre sie an. »Okay. Hören Sie mir mal gut zu, Sie bescheuerte alte Kuh: Werden Sie mich jetzt durchlassen oder muss ich mir meinen Weg erkämpfen?«
Da ist ein Teil in mir, ein hässlicher, kalter Teil, der die Situation genießt. Ich stecke die Hand in die Tasche, meine Finger schließen sich um den Griff des Messers.
Alte Damen fertigmachen, ganz toll.
Die Frau sieht mich ausdruckslos an, und dann verzieht sich ihr Mund plötzlich zu einem boshaften Zähnefletschen. Ich weiche zurück –
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