Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
zittert vor Entsetzen. Ich muss mich zusammenreißen.
Ich kämpfe meine Übelkeit nieder und gehe mit den Kleidungsstücken zur Kasse. Die magere Frau hinter dem Tresen mustert mich mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid – ein Blick, an den ich mich allmählich gewöhne. Ich krame die Gel-Wertmarke aus meiner Tasche und lege sie auf den Ladentisch. Sie nimmt sie mit Daumen und Zeigefinger wie mit einer Zange. Die anderen drei Finger ihrer rechten Hand sind säuberlich direkt unter dem zweiten Knöchel amputiert, die Stümpfe dekorativ mit Sternen und Monden bemalt. Die kleinen Stümpfe wackeln, als sie die Marke hochhebt.
Sie zieht das Gelstück durch ihr Kassenterminal und wirft mir einen traurigen Blick zu. »Es tut mir leid, Sir«, sagt sie. »Dies ist eine Wertmarke für Kundendienstbeauftragte. Sie müssen sich KDB-Gewandung aus dem KDB-Büro aussuchen.« Sie zeigt auf eine Tür auf der anderen Seite des Ladens, die mit ›Kundendienstbeauftragte‹ beschriftet ist.
»Vielen Dank«, sage ich.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sir«, antwortet sie mit einem missionarischen Lächeln und streicht sich mit ihrer Fingerzange über das strähnige blonde Haar. »Es ist immer wieder eine Freude ... Besuchern dabei zu helfen, die richtige Wahl zu treffen.«
Die Hintertür zum Büro besteht aus schwerem Stahl und ist in mattem Weiß gestrichen. Sie öffnet sich zu einem langen Korridor mit schlichten Betonwänden hin, gesäumt von blauen und roten Rohren und elektrischen Leitungen. Ungefähr alle zehn Schritte befinden sich Metalltüren in der Wand. Ich laufe den Gang entlang, probiere jede Tür aus, aber sie sind alle verschlossen. Je weiter der Gang führt, desto schwächer wird die Neonbeleuchtung, bis am Ende des Korridors nur noch eklig gelbes Dämmerlicht herrscht. Das muss es sein.
Ich erreiche die letzte Tür, versuche, die Klinke hinunterzudrücken. Sie scheint zu klemmen.
Ich klopfe.
Der Korridor erinnert mich an Angst und Panik, an die Flucht vor diesem schnoddernd keuchenden, schreienden Elefantenwesen. Ich erinnere mich gut an sein Atmen, an seinen tropfenden Speichel.
Ich klopfe erneut.
»Ja? Herein bitte.«
Ich drücke noch einmal die Klinke und diesmal gibt sie nach.
Die Frau hinter dem Schreibtisch des KDB-Büros sieht mich gleichgültig an. Überall im Raum stehen Kleiderständer und die Musikberieselung des Ladens sickert aus der Decke. I’m Going Through Changes? Ich zwinge mich, ruhiger zu atmen, während die Frau mich anschaut und mit ihrem hölzernen Fuß ungeduldig gegen die Sichtblende des Schreibtischs tappt. Ich halte ihr meine Gelmarke hin, und sie weist auf zwei mit ›Retouren‹ beschriftete Kleidercontainer neben einem altmodischen Sichtschirm.
»Da finden Sie viele Sachen für Abnormale«, ruft sie hinter mir her.
Die einzigen Klamotten, die ich nach einigem Wühlen finde und die ungefähr meine Größe haben, sind eine seidige Anzugjacke mit silbernen und schwarzen Bonbonstreifen und eine dazu passende Hose mit einem komplizierten Klett-Hosenschlitz. Ein kanariengelbes Hemd mit Rüschen komplettiert das Outfit. Ich probiere die Sachen hinter dem Sichtschirm an, besorgt, dass die Frau mich vom Schreibtisch aus beobachten – oder schlimmer noch: riechen kann. Ich habe freien Blick auf sie, aber sie liest in einer Zeitschrift und ihr hölzerner Fuß macht tapp-tapp-tapp. Hinter dem Schirm hängt lediglich ein kleiner Rasierspiegel an einem Haken. Ich nehme ihn ab und betrachte mich von oben bis unten.
Ich sehe aus wie ein gottverdammter Clown. Oder wie ein Mitglied einer New-Romantic-Boygroup. Ich versuche es ohne das gelbe Hemd und nur mit dem T-Shirt unter der Jacke, aber das sieht noch schlimmer aus. Jetzt fehlt mir nur noch ein Buster-Keaton-Hut, und ich sehe aus wie irgendein Spinner aus den 80ern. Ich ziehe das Hemd wieder an. Na, prima.
Ich behalte die Kombination an und gehe zurück zum Schreibtisch, um der Frau meine Wertmarke zu reichen. Sie zieht sie durch ihr Terminal.
»Bewerbungsgespräch?«, fragt sie. Ich nicke. »Viel Glück.« Sie starrt demonstrativ auf meine dreckigen Schuhe.
»Danke.«
Ich schwöre, ich fühle etwas Glitschiges im Schritt der Hose, aber ich versuche, den Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Ich habe mich nicht getraut, eine der Unterhosen aus den Retourencontainern anzuprobieren, und jetzt bereue ich es, dass ich meine eigene bei Lonly Books weggeworfen habe. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, von wem diese gebrauchten Sachen
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