Labyrinth der Spiegel
aneinander vorbei.
»Willy, der Loser ist eine fremde Lebensform, ich glaube, eine rein energetische. Sein Verstand unterscheidet sich grundsätzlich von dem unseren.«
Ich verstumme.
Wie lächerlich das klingt!
Jetzt, wo der Loser nicht in der Nähe ist, bin ich genauso skeptisch wie Vika.
»Eine energetische Lebensform«, wiederholt Guillermo so sanft, als spreche er mit einem Kranken. »Ach ja, interessant.«
Wer von uns beiden ist jetzt der größere Idiot?
»Willy, lassen Sie uns doch unsere Informationen austauschen. Als ersten Schritt in unserer Zusammenarbeit.«
»Ich glaube, ich kenne Ihre Informationen bereits.« Willy blinzelt verschlagen. »Und?«
»Dafür kann ich mich jederzeit mit dem Loser treffen und mit ihm reden. Und?«
»Er ist bei Ihnen?«
Ich hülle mich in Schweigen.
»Um Ihnen zu beweisen, wie sehr uns an einer Zusammenarbeit gelegen ist …«, knurrt Willy. O nein, er ist nicht aus eigenem Antrieb gekommen! Oder wenigstens nicht nur! Die Leitung vom Labyrinth berät in eben diesem Moment voller Panik, ob er mit offenen Karten spielen darf oder nicht.
»Ich kann auch gehen«, werfe ich ein.
»Einverstanden!« Willy hebt die Arme. »Ich kapituliere! Sie haben gewonnen, Revolvermann! Wie immer haben Sie gewonnen!«
Ich ignoriere das Kompliment, doch Willy hat sowieso nicht mit einer Reaktion gerechnet.
»Wir haben das Phänomen Loser anfangs falsch eingeschätzt«, gibt er zu, wobei er sich die Nasenwurzel reibt. »Das war ein großer Fehler. Da hat sich dann zum Glück die Aufmerksamkeit, die das Labyrinth seinen Spielern angedeihen lässt, ausgezahlt … Als Ihre Bemühungen und die Anstrengungen unserer Diver nichts brachten, haben wir angefangen, den Kanal zu suchen, über den der Loser zu uns gekommen ist … Wir haben gesucht und gesucht … und nichts gefunden.«
Langsam wird’s spannend!
»Sind Sie mit der Theorie der Parallelwelten vertraut, Revolvermann?«, fragt Guillermo.
»Aus der Science Fiction.«
»Das ist eine durch und durch seriöse Theorie, Revolvermann. Parallel zu unserer Welt können noch andere Welten existieren. Unsichtbare, unerreichbare … aber völlig
reale. Bislang stand es uns nicht zu Gebote, mit ihnen vernünftig zu kommunizieren. In der virtuellen Welt sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Datenströme leben nach ihren eigenen Gesetzen. Nichts in der Geschichte der Menschheit hat die Entropie bisher derart effizient verringert wie das Computernetz. Unabhängig von unserem Willen und von unseren Wünschen nimmt es zudem Einfluss auf die physikalischen Gesetze der Welt. Die Datenströme fließen durchs Netz, sammeln sich und bilden Zentren an Orten, an denen sich die Natur des Universums selbst verändert.«
»Daten können die Gesetze der Natur nicht verändern«, werfe ich ein.
»Nicht? Wenn sich in einem begrenzten Raum eine komplexere Struktur herausbildet, wirkt sich das auf das ganze Universum aus. Sehr schwach natürlich nur. Trotzdem gerät das Weltengebäude aus dem Gleichgewicht. Jeder Gegenstand, der durch die Hand des Menschen geschaffen wurde, trägt eine positive und eine negative Ladung in sich. Die Keule, die aus einem Baumstamm herausgehauen wurde, war eben nicht nur eine Waffe! Nein, nein und nochmal nein! Sie war eine abweichende Erscheinung, eine klare Struktur in einer chaotischen Welt. Sie hatte jedoch ihren Preis – und sei es nur ein Haufen Späne und Sägemehl. Das Buch war schon eine komplexere Erscheinung. Als es geschaffen wurde, standen sich das Wissen und das Chaos bereits nicht mehr gleichgewichtig gegenüber. Und auch das Buch hat seinen Preis – und seien es nur die Bäume, die für die Papierherstellung gefällt wurden. Dass die meisten Bücher der Bäume noch
nicht einmal wert sind, steht auf einem anderen Blatt. Nehmen wir jetzt einmal die Bücher unter die Lupe, die unser Wissen in seinen Grundfesten erschüttern. Damit meine ich nicht Enzyklopädien, die bekanntes und meist unnützes Wissen beinhalten, sondern jene Bücher, die eine neue Ethik und ein neues Weltverständnis hervorbringen. Sie beeinflussen das Leben der Menschen, führen zu einer größeren Informationsdichte und zerstören das Alte. Das ist eine Art Fluch: Je informativer ein Buch ist, desto stärker erschüttert es die Welt. Der Mensch ist nicht in der Lage, Ordnung zu schaffen, ohne dabei Chaos in die Welt zu bringen. Ganz anders verhält es sich dagegen mit Computern. Sie bedeuten reine Information. Diese Information
Weitere Kostenlose Bücher