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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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um.
    In einer Ecke des Lagers steht ein Mann Ohne Gesicht.
    Schwarzer, bodenlanger Mantel, auf der Brust eine silberne Spange in Form einer Rose, lockiges Haar, aschgrau, aber offenbar nicht gefärbt. Da, wo das Gesicht sein sollte, wabert eine Art kondensierter Nebel. Auf den Straßen Deeptowns sind solche Sachen verboten, aber in den eigenen vier Wänden ist natürlich alles erlaubt. Die Frage ist: wozu? Wenn du nicht erkannt werden willst, setz dir halt ein Dutzendgesicht aus dem Repertoire von Windows Home oder einem anderen Betriebssystem auf, an Auswahl mangelt es ja nun wirklich nicht.
    Aber ein fehlendes Gesicht in Kombination mit derart auffälliger Kleidung – das ist doch idiotisch.
    Wenn auch beeindruckend.
    »Lass uns allein, Semjon«, verlangt der Mann Ohne Gesicht.
    Der Fahrer nickt, dreht sich um und verschwindet im Labyrinth der Regale. Während seine Schritte allmählich verstummen, registriere ich das hervorragende Echo im Raum.
    Wahrscheinlich sollst du dich hier gar nicht lautlos bewegen können.

    »Sie sind ein Diver«, stellt der Mann Ohne Gesicht fest.
    Ich hätt’s mir ja denken können. Die Tradition des Tages! Nun versucht man bereits zum dritten Mal, mich dingfest zu machen.
    Alle guten Dinge sind bekanntlich drei.
    »Kann schon sein«, entgegne ich. »Und Sie sind wohl Bill Gates.«
    Falls er lächelt, kriege ich es nicht mit.
    »Kann schon sein.«
    Will der mir etwa allen Ernstes weismachen, dass der Chef von Microsoft höchstpersönlich im Netz auf Fischfang nach Divern ist? Er, der erstens sein Geld auf traditionellerem Weg scheffelt, und zweitens kein Wort Russisch spricht. Obwohl: Was weiß ich, wie ausgefeilt die Übersetzungsprogramme heute sind? Ja, klar, die billige Massenware, die fällt noch mit ihrer hölzernen Intonation auf …
    »Verzichten wir doch auf diese Spielchen«, schlage ich vor. »Sie vermuten also, ich sei ein Diver? Und Sie haben mich hierhergebracht, um mich zu verhören. Ich fürchte, ich werde Sie enttäuschen müssen.«
    »Heute Morgen haben zwei Hacker aus dem Viertel Al Kabar eine Datei gestohlen, die das Rezept für ein neues Medikament enthielt. Einer der beiden war mit Sicherheit ein Diver.« Der Mann Ohne Gesicht erweist sich als geduldig und pedantisch. »Ich habe keine Ahnung, was den beiden für diese Arbeit angeboten wurde, doch Herr Friedrich Urmann hat den Diver glücklicherweise darüber informiert, dass der adäquate Preis für diese Datei bei einhunderttausend Dollar liegt. Wie unser Diver auf diese
Neuigkeit wohl reagiert hat? Lassen Sie mich doch mal ein wenig spekulieren! Er könnte sich zum Beispiel umgehend von der heißen Ware trennen wollen. Oder aus heiterem Himmel von seinem Kunden besagte einhunderttausend verlangen. Oder das Geld auf ein sicheres Konto überweisen.«
    Nein, das ist ein Bluff. Bei der Bank arbeiten Profis. Auf diesem Weg kann er mir nicht auf die Schliche gekommen sein.
    »Nehmen wir weiter an, die beiden Hacker teilen das Geld fifty-fifty. Damit wird die Sache nämlich ausgesprochen interessant, mein Freund. In Deeptown wird sekündlich Geld von einer Bank auf eine andere transferiert. Aber eine Überweisung von Fünfzigtausend … von einer Privatperson an eine andere … Gut, die Kontonummern sind uns natürlich unbekannt, aber der Ort, an dem das Geschäft getätigt wurde, ließe sich recht einfach eruieren. Sie ahnen, worauf ich hinauswill?«
    Wie auch nicht – so simpel wie das Ganze ist?!
    Die haben sich bei den Drei kleinen Schweinchen an meine Fersen geheftet. Roman hat die Tiefe sofort nach unserem Treffen verlassen, aber ich wollte ja unbedingt noch ein bisschen durch die Gegend ziehen.
    Und genau das ist mir zum Verhängnis geworden.
    Wieso um alles in der Welt habe ich mit Roman bloß halbe-halbe gemacht?
    »Wirklich eine recht interessante Geschichte. Nur was habe ich damit zu tun?«
    Auch wenn mein Gegenüber kein Gesicht hat, weiß ich, dass er jetzt lächelt.

    »Man muss mit Anstand verlieren können, Herr Diver.«
    Ich habe aber noch nicht verloren – was er jedoch nicht weiß.
    »Sicher, ein Diver ist eben deshalb ein Diver, weil es unmöglich ist, ihn im virtuellen Raum zu schnappen«, fährt der Mann Ohne Gesicht fort. »Was bedeuten für ihn schon Systembeschränkungen? Er konzentriert sich nur kurz – und mit einem Satz ist er bei sich zu Hause. Wo er manuell die Verbindung trennt.«
    Oh, besten Dank für den Tipp. Da kriegt ihr uns also, in dem Moment, wenn wir das Programm

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