Lacunars Fluch 02 - Die Prinzen
zu hinterlassen.
Die Stille, die ihn umgab, wurde plötzlich von lautem Wortwechsel unterbrochen. Auf dem Korridor stritten sich zwei Männer. Jaryn hob den Kopf und lauschte. Dann wich ihm das Blut aus den Wangen, die Feder zerbrach in seiner Faust, spritzte Tinte über das Pergament und verdarb den Text. Jaryn bemerkte es nicht. Er horchte nur auf die eine Stimme, die ihm so vertraut und vor einer ewigen Zeit so süß gewesen war. Vor seiner Tür stritt der Türwächter mit Rastafan und wollte ihn nicht hereinlassen.
Jaryn stand auf und öffnete selbst die Tür. »Edler Prinz …«, begann der Türwächter verlegen, doch Jaryn winkte ab. Er würdigte Rastafan keines Blickes und wandte sich sofort ab. »Komm herein.« Er ging auf seinen Schreibtisch zu und hörte hinter sich Rastafans Schritte. Einen Atemzug lang schloss er die Augen. Ihm noch einmal zu begegnen, war unerträglich. Das war der Moment, den er gefürchtet hatte! Erging es Rastafan ebenso? Sein Schweigen war ungewöhnlich. Was wollte er? Für die Situation, in der sie sich befanden, gab es keinen Ausweg. Kurz stützte Jaryn seine Hände an der Tischkante ab, dann drehte er sich um.
Rastafan stand mitten im Zimmer, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Wie schön er war! Fast hätte Jaryn ihn nicht erkannt: Dort stand kein Gesetzloser aus dem Wald, dort stand der zukünftige König von Jawendor! In sein schwarzes Haar waren Goldschnüre geflochten. Die knielange Tunika war aus dunkelblauer Seide, die an den Rändern mit Goldborten eingefasst war. Dazu trug er halbhohe Stiefel aus gebleichtem Leder. Sein Anblick machte Jaryn schwindlig. So schön kann der Tod sein, dachte er. Er hoffte, Rastafan habe sein leichtes Schwanken nicht bemerkt. »Setz dich doch«, sagte er.
»Ich stehe lieber.«
»Wie du willst.« Jaryn hatte sich wieder in der Gewalt und seine schmalen Augen richteten sich auf seinen Bruder. Sie funkelten wie Tautropfen auf blauem Samt. Er wusste um seine Schönheit und setzte sie mit Bedacht gegen Rastafans glanzvolle Erscheinung ein. Und wieder geschah das, worauf sie beide nie Einfluss gehabt hatten: dass sie aus diesem erdgebundenen Dasein in eine Welt versetzt wurden, wo es weder Worte noch Taten gab, nur ein Versinken im Blick des anderen …
Auch dieses Mal währte die Verbindung nur einen Herzschlag und verging wie ein Hauch.
»Bist du gekommen, um mir zu sagen, dass du mich töten wirst?«
Rastafan nickte langsam. »Ja.«
»Dann danke ich dir für deine Aufrichtigkeit.«
»Ich will es nicht, aber die Götter …«
»Sprich du mir nicht von Göttern!« Jaryns Hand stieß nach vorn wie der Kopf einer Kobra. »Dir ist nichts heilig, denn du dienst Razoreth.«
»Gut. Lassen wir die Götter beiseite. Diese Sache mit dem Zweikampf ist ein barbarisches Gesetz, das ich weder erlassen habe noch für zweckmäßig halte.«
»Dem du dich jedoch willig unterwirfst, sonst wärst du nicht hier.«
»Was hätte ich tun sollen?«
»Das wagst du zu fragen?« Jaryn spuckte vor ihm auf den Boden. »Wer das fragt, verdient keine Antwort.«
Rastafan wich betroffen einen Schritt zurück. Er blickte in ein Gesicht aus Marmor. Da war weder Furcht noch Trauer. »Und dennoch!«, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hätte nicht anders handeln können. Ich lebte als Ausgestoßener in den Wäldern, obwohl ich von edlem Geblüt bin. Ich bin ein Prinz wie du, Jaryn. Aber ich hatte nicht den Vorzug, im Sonnentempel aufzuwachsen.«
»Ich tausche diesen Palast hier gern gegen die Köhlerhütte im Wald, wo der Wind durch das Dach pfeift und Spinnweben in den Ecken hängen. Wenn du nur bei mir wärst.«
»Das sagst du jetzt. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass du mit mir mein Lager in den Rabenhügeln geteilt hättest, als du noch Sonnenpriester warst.«
»Ich hätte es gern getan, ich habe davon geträumt. Verblendeter Narr, der ich war! Heute kenne ich deinen wahren Charakter. Warum bist du überhaupt hier? Was willst du noch von mir?«
Rastafan tat zwei Schritte auf ihn zu. »Wir müssen nicht miteinander kämpfen.« Er streckte die Hand nach Jaryn aus, wagte es aber nicht, ihn zu berühren.
»Wer sagt das? Doron?«
»Nein. Es gibt einen Weg, den Zweikampf zu vermeiden. Du musst aus Jawendor fliehen. Ich kann niemanden bekämpfen, der nicht anwesend ist.«
Jaryn lachte höhnisch. »Ach ja? Und wohin sollte ich mich deiner Meinung nach zurückziehen?«
»Lacunar würde dich …«
»Lacunar?«, unterbrach Jaryn
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