Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
Schwingen und rauschten wie riesige Vögel durch die Straßen und Gassen und über die Plätze und Dächer der Stadt. Dem Kaufmann Orchan, der seine Leute aus guten Gründen überall hatte, kam demzufolge bald zu Ohren, dass König Doron von seiner eigenen Frau umgebracht und Prinz Rastafan der Verschwörung angeklagt worden war. Was an diesem Gerücht falsch und was aufgebauscht war, konnte er nicht sagen. Aber er war davon überzeugt, dass Rastafan nichts damit zu tun hatte. Der Mann, den Orchan im Räuberlager besser kennengelernt hatte, war ein harter Mann, aber niemals hinterhältig. Gerade seine aufrechte Art schätzte er. Deshalb hatte sich Orchan bei seinen Zuträgern näher erkundigt und Einzelheiten erfahren. Als er den Namen Gaidaron hörte und von der Sache mit dem Brief, da war für ihn klar, was da lief. Dennoch zögerte er, sich im Palast als Zeuge zu melden. Das war, als betrete man das klebrige Netz einer Spinne. Zappelte man erst einmal darin, ließ sie einen nicht mehr frei.
Und was weiß ich schon?
, überlegte er.
Ich weiß gar nichts. Ich habe meine Überzeugung, dass Rastafan unschuldig ist, aber was ist die vor Gericht wert? Dort benötigen sie Beweise, und die habe ich nicht.
Damit wollte Orchan sich aus der Verantwortung stehlen, und er hoffte, er werde die Sache vergessen. Doch dann fiel ihm Borrak ein. Was er von ihm über Gaidaron wusste, war natürlich nur Hörensagen, aber vielleicht konnte er ihn dazu überreden, vor Gericht auszusagen. Orchan verbesserte sich rasch. Natürlich nicht überreden: Borrak würde sich ja nicht freiwillig ans Messer liefern.
Orchan schlief eine Nacht darüber, dann war er entschlossen, für die Gerechtigkeit eine Lanze zu brechen. Am nächsten Morgen machte er sich zum ersten Mal freiwillig zum Palast auf und meldete sich dort als Zeuge. Wenn man einen besseren König erwartete, sagte er sich, dann mussten die Menschen, die er regierte, auch ein gutes Beispiel geben.
*
Als die Verhandlung am dritten Tag fortgesetzt wurde, hätte man sich keine Mühe mehr geben müssen, diese Tatsache zu verheimlichen. In ganz Margan redete man über nichts anderes mehr. Dabei geschah das, was man hatte vermeiden wollen: Es bildeten sich Gruppen, die für die eine oder andere Seite Partei ergriffen. Neben lautstarken Auseinandersetzungen kam es auch zu Handgreiflichkeiten, und Tasman mit seiner Eisernen Garde hatte alle Hände voll zu tun, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Als Orchan die Stufen zum Haupttor des Palastes hinaufstieg, begegnete ihm ein breitschultriger, kahlköpfiger Mann. Er kam ihm bekannt vor, und als dieser ihn ansprach, erinnerte er sich. Er kannte ihn aus dem Räuberlager bei Carneth.
»Ihr seid doch Orchan, der Kaufmann?«
»Der bin ich – und Ihr gehört zur Eisernen Garde, wie ich sehe. Aber früher wart Ihr bei Rastafans Berglöwen, richtig? Oh, ich wollte sagen, beim Prinzen Rastafan. Aber Euer Name ist mir entfallen.«
»Ich bin Tasman. Ja, ich war bei den Berglöwen, heute bin ich Hauptmann der Eisernen Garde, ich habe Borraks Posten übernommen.«
»Oh, das ist einmal eine erfreuliche Nachricht. Und Borrak? Er wurde doch nicht etwa …?«
»Hingerichtet? Aber nein. Er ist jetzt Sklavenaufseher im dritten Hof bei den Wäscherinnen.«
»Ah, Nimgud sei Dank. Ich brauche ihn nämlich noch. Aber verzeiht, womit kann ich Euch behilflich sein?«
»Ihr seid auf dem Weg in den Palast? Vielleicht erfahrt Ihr dort etwas über den Prozess gegen den Prinzen? Ich mache mir Sorgen seinetwegen.«
»Ich bin sogar als Zeuge geladen.«
»Man darf ihn einfach nicht verurteilen. Er ist unschuldig.«
»Ja, das weiß ich doch. Deshalb will ich aussagen. Aber das Urteil fällen andere. Wenn mich allerdings nicht alles täuscht, wird es noch eine Überraschung geben. Macht Euch nur keine Sorgen.«
Tasman legte dem kleinen Kaufmann seine Pranke auf die Schulter. »Danke, mein Freund. Ich wünsche Euch viel Glück. Jetzt muss ich mich beeilen, in der Stadt ist Aufruhr.«
»Nehmt Euch vor allem die Anhänger Gaidarons vor«, rief Orchan dem Davoneilenden nach und setzte seinen Weg beherzt fort.
*
Suthranna eröffnete die Verhandlung und musste wegen der allgemeinen Aufgeregtheit wieder einmal um Ruhe bitten. Inzwischen war auch Anamarna eingetroffen. Er und sein Schüler Aven hatten bescheiden auf den Zuschauerbänken Platz genommen.
»Für den Prinzen Rastafan werden wir zwei Zeugen hören«, gab er bekannt. »Gaidaron hat keinen weiteren Zeugen
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