Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
schlagen, die man hinterher wieder zusammensetzen kann.«
»Ja, aber selbst dann könnten wir mit dieser Last nicht das Gebirge und die Wüste durchqueren. Diese Tafel wiegt mindestens so viel wie drei Ochsen.«
Caelian fuhr mit den Fingern die Fugen entlang. »Wir sollten uns einige der Zeichen einprägen und sie später aufzeichnen. Dann wissen wir wenigstens, ob es Leute gibt, die sie entziffern können.«
Jaryn nickte und bückte sich, um auch die untersten Zeilen zu betrachten, als er plötzlich aufschrie und fast vornüber in einen dunklen Schacht gefallen wäre. Auch Caelian war erschrocken zurückgetaumelt. Die Tafel war wie von Geisterhand aufgeschwungen.
»Was war das?«, stammelte Caelian, bleich wie der Wüstensand.
»Deine Finger müssen irgendeinen Mechanismus ausgelöst haben«, sagte Jaryn, der sich wieder gefasst hatte. Aus der dunklen Öffnung wehte ihnen ein Schwall verbrauchter, muffiger Luft entgegen. Vorsichtig traten sie näher und blickten hinein. Zuerst sahen sie nichts außer lichtloser Schwärze. Es war, als führe der Schlund geradewegs hinab in die Unterwelt. Erst, als ihre Augen sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schälten sich Formen heraus. Sie blickten in einen bodenlosen viereckigen Schacht, der aus gemauerten Wänden bestand. Von Wand zu Wand hätten zwei Männer mit ausgestreckten Armen in ihm Platz gefunden.
Etwa zwanzig Steinstufen, die hinabführten, endeten auf einer Plattform. Wie es von dort weiterging, konnten sie nicht erkennen.
Sie sahen sich an. »Ich gehe zuerst«, sagte Caelian.
»Auf keinen Fall. Du bist immer so leichtsinnig. Ich gehe.«
»Und du bist zu waghalsig, lass mich gehen.«
Sie stritten sich wie kleine Jungen und waren doch nur um den anderen besorgt. Endlich mussten sie die Sache mit einem albernen Kinderspiel beenden, das mit den Fingern ausgetragen wurde. Jaryn hatte gewonnen. Als sie beide die Plattform erreicht hatten, sahen sie, dass sich an den Wänden schmale Steinstufen in lang gezogenen Spiralen in die Tiefe schlängelten. »Da unten ist es völlig finster, und wir haben kein Licht«, sagte Jaryn.
»Daran haben die Erbauer bestimmt auch schon gedacht«, meinte Caelian. »Hier muss es Fackeln geben.«
Sie nahmen die Wände genauer in Augenschein, und tatsächlich befanden sich in regelmäßigen Abständen eiserne Ringe in der Wand, in denen Pechfackeln steckten.
»Nur leider nützen sie uns nichts«, sagte Jaryn. »Feuerstein und Zunder sind in unseren Satteltaschen.«
»Und in meiner Hosentasche«, grinste Caelian, der schon immer der Praktischere von beiden gewesen war. Jaryn beglückwünschte ihn zu dieser Voraussicht, und es gelang ihnen nach einigen Fehlversuchen, zwei Fackeln zu entzünden. Der Rauch erleichterte ihnen nicht gerade das Atmen, aber nun konnten sie den Schacht weithin ausleuchten. Bis auf den Boden reichte der Schein allerdings nicht.
Als sie sich eben anschickten, die Treppe hinunterzugehen, hielt Jaryn inne. »Wir müssen die Tür sichern, damit der Wind sie nicht hinter uns zuschlägt.«
»Sehr umsichtig«, lobte Caelian. »Ich möchte nicht lebendig begraben werden.«
Während Jaryn wieder zur Luke hinaufstieg, leuchtete Caelian neugierig in die Tiefe des Schachts. Ihm war, als schaue er in einen unendlich tiefen Brunnen. Ein wenig schauderte ihn, aber brennende Neugier verdrängte seine Furcht. Derweil stopfte Jaryn sein Kopftuch in die Türspalte, dann konnten sich beide endlich an den Abstieg in das Ungewisse wagen. Caelian ging jetzt voran, Jaryn folgte. Vorsichtig tasteten ihre Füße die jeweils nächste Stufe ab, aber die Treppe war stabil. In der trockenen Wüstenluft hatte das Eisen kein Rost angesetzt.
»Was mich wundert, ist, dass man eine Tür an der Spitze einer Pyramide anbringt«, sagte Caelian. »Die Baumeister damals konnten doch nicht wissen, dass man später einmal auf einer Düne würde hinaufspazieren können.«
»Die Tür wird nicht das einzige Rätsel dieser Pyramide bleiben«, erwiderte Jaryn.
Stufe um Stufe näherten sie sich dem Unbekannten. »Müssten wir nicht eigentlich schon unten sein?«, fragte Caelian nach einer Weile.
»Dachte ich auch.«
»Kannst du schon etwas erkennen?«
»Nein, aber das will nichts besagen. Der Schein der Fackeln reicht nicht sehr weit. Dennoch habe ich das Gefühl, wir hätten die Sohle bereits erreichen müssen.«
Caelian umklammerte in aufflackernder Panik das Geländer. »Und wenn diese Treppe niemals aufhört und direkt in
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