Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
der Grippewelle, doch die Tatsache, dass sich vier Jahre lang Männer mit geschwächtem Immunsystem engsten Raum geteilt hatten, begünstigte den Ausbruch vermutlich. Die schwerstbetroffenen Grippepatienten wurden zusammen mit den Kriegsversehrten nach Hause verschifft, wodurch sich die Krankheit erst auf dem europäischen Kontinent und dann auf der ganzen Welt ausbreitete. Es erwies sich als außergewöhnliche Belastung, dass vor allem gesunde, junge Erwachsene erkrankten und Pflegekräfte sich der schrecklichen Situation gegenübersahen, dass die Patienten an ihrem eigenen Schleim erstickten.
Dr. Sneyd, der Arzt am Bryanston Square, gehörte zu den Betroffenen. Almina schickte ihn zur Erholung nach Highclere. Da sie sich nur eine leichte Form der Erkrankung zugezogen hatte, blieb sie in ihrem Krankenhaus und kümmerte sich, sobald es ihr wieder besser ging, weiterhin um ihre Patienten. Das Schicksal eines der Männer, denen sie nicht helfen konnte, war besonders grausam: Er hatte dreieinhalb Jahre an der Front überlebt und verstarb nur wenige Wochen nach dem Waffenstillstand an der Spanischen Grippe.
Ende des Jahres war Almina außerdem damit beschäftigt, sich um ihr Erbe zu kümmern. Alfred de Rothschild, im Tod wie im Leben äußerst großzügig, hatte ihr fast alles vermacht. Familie und Freunde wurden reich bedacht, und 50 000 Pfund flossen an Wohltätigkeitsorganisationen, die Hälfte davon an den Lord Kitchener National Memorial Fund, der sich der Linderung des Leids britischer Armeesoldaten verschrieben hatte. Die National Gallery erhielt ein herausragendes Gemälde von Sir Joshua Reynolds. Alfreds geliebtes Halton House wurde seinem Neffen Lionel zuteil, dem »einzigen Rothschild, der kein großes Haus besitzt«, Seamore Place wurde jedoch samt seinem Interieur Almina hinterlassen. Das riesige Haus in Mayfair war in tadellosem Zustand und mit kostbaren Dingen angefüllt. Alfred hatte Almina gebeten, einige der exquisiten Gemälde als Familienerbstücke zu behalten und sie nicht zu veräußern. Zusätzlich erhielt Almina nach Abzug der Erbschaftssteuer 50 000 Pfund, Lord Carnarvon, Porchy sowie Lady Evelyn wurden mit 25 000 Pfund bedacht. Es ist leicht zu ermessen, dass es hier um exorbitante Summen ging, wenn man bedenkt, dass 1918 ein Gärtner in Highclere Castle einen Jahresverdienst von 24 Pfund bezog und die höchste Gehaltsstufe der Bediensteten bei 150 Pfund lag.
Von nun an diente Seamore Place den Carnarvons als Wohnsitz in London, das Haus am Berkeley Square wurde verkauft. Almina, zu deren größten Leidenschaften es gehörte, ein Haus einzurichten, leitete sofort einige Umbaumaßnahmen in die Wege. Das Haus mit seiner wunderschönen, museumsähnlichen Einrichtung ließ offenbar hinsichtlich der Abwasserrohre zu wünschen übrig. Im Dezember beauftragte Almina ihre Anwaltskanzlei Frere & Co., den Nachlassverwaltern von Alfred de Rothschild eine stattliche Forderung zu unterbreiten, da, so die Begründung, in Seamore Place umfangreiche Renovierungsarbeiten erforderlich gewesen waren und sie außerdem hohe Verbindlichkeiten für ihr Krankenhaus eingegangen war. Aus diesem Grund beabsichtigte sie, zwei der geerbten Gemälde, die, solange sie in ihrem Besitz blieben, steuerfrei waren, zu verkaufen, und verlangte vom Testamentsvollstrecker Alfreds, die anfallenden Abgaben zu übernehmen.
Wenn Almina eine Untugend besaß, dann war es ihr leichtsinniger Umgang mit Geld. Sie hatte Freude daran, es auszugeben, ging äußerst großzügig damit um und war ebenso unbekümmert bei dessen Beschaffung. Der Umstand, dass mit Alfreds Tod nun auch die von ihm zu erwartende Summe Grenzen besaß, schien ihr nicht bewusst gewesen zu sein. Wie sie es ihr gesamtes Leben hindurch getan hatte, bat sie einfach um mehr.
Der Vollstrecker von Alfreds Testament, der renommierte Anwalt Sir Edward Marshall Hall, widersetzte sich Alminas recht gebieterischer Forderung. Dennoch verkaufte Almina die Gemälde – entgegen Alfreds Verfügung – und musste die Steuern selbst bezahlen. Dieses Lehrgeld war eine erste kleine Anpassung an die Tatsachen des Lebens ohne ihren Wohltäter.
Sich an die neue Realität anzupassen war im Januar von der ganzen Nation gefordert. Elsie, die verwitwete Countess of Carnarvon, war inzwischen 63 Jahre alt, beschloss jedoch mit der ihr eigenen unermüdlichen Tatkraft, ihren Teil zur Linderung der Leiden der traumatisierten Soldaten beizutragen. Sie wurde stellvertretende Vorsitzende der
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